17 TAGE EUROPA | Freitag 2002-08-02/A | GEDANKEN ÜBER DIE EUROPÄISCHE ESSKULTUR

02.08.14 • JEZT AKTUELL, KULTUR & BILDUNG, STARTKeine Kommentare zu 17 TAGE EUROPA | Freitag 2002-08-02/A | GEDANKEN ÜBER DIE EUROPÄISCHE ESSKULTUR

Rainer Sauer - 17 Tage Europa - Teaser

Der neunte Tag (Teil 1): Colmar

Losung am 2. August

„Nicht die Vollkommenen, sondern die Unvollkommenen brauchen unsere Liebe.“
(Oscar Fingal O‘ Flahertie Wills aka Oscar Wilde)

In Freiburg aß ich gestern in einem wirklichen Nobelrestaurant mit dem wohlkingend-maritimen Namen „Nordsee“. Es gab ein Menue aus paniertem Filet des Seelachses an Salat von der Kartoffel und einer frischen „Sauce Remoulade“. Und eine Gaudi gab es gratis mit dazu.

Da wagte doch tatsächlich ein älterer Herr, ich schätze, er war schon weit über siebzig Jahre alt, der Chefin „des Cuisines“ zu sagen, dass dies hier in Freiburg (Zitat) „ein Sauladen“ sei. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Nämlich ein Ungeziefer auf der Toilette. „La Coucaracha“ habe er, so der alte Herr, gerade eben eigenfüßig erlegt. Das brachte nun die Chefin derart in Rage, dass diese in einer Mischung aus Schwitzer-Dütsch und tiefstem Schwarzwald-Dialekt, den Mann des Restaurants verwies.

Dieser sah hierfür allerdings keinen Grund und blieb. Da versuchte die Chefin es mit dezenter Überzeugungskraft und rief die Polizei. Die kam, sah (auf der Toilette nach) und besiegte die Geschäftsführerin dadurch, dass sie die Feststellungen des Gastes bestätigte. Aber weil, wie gesagt, nicht sein kann, was nicht sein darf, war der Chefin die Sache sogleich klar: Der ältere Herr muss das Ungeziefertier selbst dort deponiert haben, sagt sie unumwunden. Warum sollte er das machen, fragte sie einer der Polizisten? – Schweigen. Um vielleicht die Zeche zu prellen, die er ja schon beim Essenfassen gezahlt hatte? – Keine Antwort der Dame.

Entschuldigen wollte sich die Dame jedenfalls nicht, der Herr hätte sie beleidigt und sich im Lokal unflätig benommen. Und nun kommt der Gag an der Sache: Da könne man nichts machen, sagte der Polizist und verwies den Gast mit dem Ausdruck des Bedauerns des Lokales. Wenn ein Gastwirt ein Hausverbot ausspricht, dann gilt es eben, denn merke: In Freiburg ist man ja schließlich in Deutschland. Und da ist der Kunde immer noch König. Allerdings ganz offensichtlich ohne Königreich.

Jetzt aber ist die Schwarzwälder „Nordsee“ für’s Erste vergessen und befinde ich mich wieder auf sicherem Boden in der „Grande Nation“, erreiche gleich Colmar. Dort suche ich „Des Tanneurs Winstub„, in der ich schon vor Jahren speiste, finde sie auch nach einigem Suchen. Aber dort hat man keinen Platz mehr für mich und bittet darum, das nächste Mal vorher zu reservieren. Das werde ich machen. Das nächste Mal … in zehn Jahren.

JEZT - Rainer Sauer - 17 Tage Europa - 2002-08-02 - Colmar

Nach einigem Suchen finde ich dann doch noch einen Ort mit Platz und Charme: „Fleurys Winstub“. Madame Fleury ist eine Frau Mitten in den Fünfzigern und recht rundlich, was aber ihrer guten Laune keinen Abbruch tut. Mit jedem Gast redet sie ausschließlich französisch, nimmt aber ebenso wohlwollend in Deutsch Änderungswünsche am Essen entgegen. Ich bestelle das Touristen-„Menue Nummer 2“ mit einem Zwiebelkuchen vorneweg, einer Sauerkrautplatte mit deftigem Fleisch, tränenauslösendem Dijon-Senf, verschiedenen Würsten, Kartoffeln und als Nachtisch gibt es Munsterkäse mit Trauben, einem bisschen Salat und reichlich Kümmel.

Zigaretten möchte ich noch und das löst in „Fleurys Winstub“ betriebsame Hektik aus; da war doch noch was mit Zigaretten, sprich: alle denken gespannt nach und dann wird gemeinsam gesucht. Nach einigen Minuten intensiven Suchens präsentiert man mir den Humidor des Chefs. Erfurchtsvoll schaue ich zu, wie dieser geöffnet wird…und zur allgemeinen Überraschung aller Anwesenden liegen darin nicht weniger als fünf Schachteln „Marlboro Light“. Trotz einiger Bedenken bezüglich der Meinung des nicht anwesenden Chefs, ob man hiervon überhaupt etwas an Gäste abgeben sollte, möchte man sich dann doch schweren Herzens von einer dieser Packungen trennen und gibt mir eine kleine Schachtel Streichhölzer dazu.

Während meines Essens, welches ich, trotz bedrohlicher Regenwolken am Himmel, vor der Winstub im Freien einnehme, bekommt Fleury Besuch. Zwei ähnlich junge Damen begrüßen sie, Fleury begrüßt zurück und man unterhält sich im besten Elsässisch. Und diesmal verstehe ich fast alles. Es sind Freundinnen, die sich seit einem guten Jahr nicht mehr gesehen haben und man unterhält sich über alles, was in der Zwischenzeit so angefallen ist.

Als man sich verabschiedet, ist Madame Fleury glücklich – und spricht gleich danach wieder fließend französisch. Das Essen, das sollte ich nicht verschweigen, ist übrigens auch hervorragend gewesen. Wohlgenährt und mit einem frischen Munsterkäse, der den Magen aufräumt, mache ich mich an diesem Tag – es ist wahrscheinlich die Halbzeit meiner Reise – gegen 12 Uhr 30 auf in die Vogesen.

Nachlese
(zwar schon drei Tage alt, aber sie passt gut zum heutigen Thema)

Schweizer sind ganz normale Menschen. Auf einem Rastplatz an der Autobahn zwischen Beaunne und Mulhouse, er hiess, soweit ich mich noch erinnern kann, „Aire du Bois des Servole„, traf ich sie. Einen Schweizer Vater, ganz der „Schlafes Bruder“ und wie Hubert von Goisern gekleidet, die Mutter im 70ger Jahre Gypsi-Look (sprich: mit einem Rock über den Kniestrümpfen, der voller Rosenmotive ist, aber wohl eher ein graubündener Original war. Und ihr Strickpullover hatte wohl schon so manchem Wetterumschwung in den Alpen standhalten müssen), drei Kinder – natürlich zwei Jungen und ein Mädchen – und einen Wohnwagen. Der Schweizer ist da schon patriotisch und fährt natürlich keinen aus dem Ausland sondern, ganz klar, einen „Bürstner“.

JEZT - Rainer Sauer - 17 Tage Europa - 2002-08-02 - Wohnwagen von BuerstnerAusgerüstet wie für eine Gletscherinspektion machten sie Rast am Rande der Autobahn zwischen Beaunne und Mulhouse. Sie frühstückten ausgiebig mit viel Brot und Käse, die gewählte Reiserichtung ließ erraten, dass sie sich gerade auf den Weg gemacht hatten aus der Schweiz in nördlichere Gefilde zu reisen – Brot und Käse waren natürlich aus der Schweiz mitgebracht worden. Man konnte es sich gut denken: Nur widerstrebend hatte der Vater auf die Mitnahme seines Gewehres verzichtet, das er als guter Alpenpatrioti zwecks Landesverteidigung stets bei sich zu führen hat. Auf seinem blauen Joppelchen war natürlich ein Edelweiß aufgenäht und die Schweizer Nationalflagge mit dem roten Kreuz.

Der Wohnwagen war, dies muss ich wirklich und mit einen vergleichenden Blick auf mein Auto gestehen, äußert sauber von außen und von innen bestimmt noch sauberer. Wenn die Schweiz es inzwischen gestattet hat, dann wäre hier wohl die Steigerungsform „am saubersten“ angebracht gewesen.

Und so saßen sie nun und aßen und ahnten nicht, dass ich auf meinem Laptop nebenan alles über sie aufschrieb, was mir als Gedanken kam. Nun, gut! Wie bereits angedeutet und nur, damit ich nicht missverstanden werde: Schweizer sind sicherlich ganz normale Menschen – vor allem aus Sicht der Schweizer selbst.





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