Der 156. bis 160. Verhandlungstag im Münchner “NSU”-Prozess

28.11.14 • JEZT AKTUELL, STARTKeine Kommentare zu Der 156. bis 160. Verhandlungstag im Münchner “NSU”-Prozess

JEZT - INSIDE NSU - Teaser

Zusammengestellt von Tim Schwarz (156. und 160. Tag) sowie Annett Szabo-Bohr:

06.11.2014 = Der 156. Verhandlungstag

Das der „NSU“ Unterstützer hatte, ist inzwischen klar: von Mittelsleuten, die anfangs Geld, Waffen und Wohnungen zur Verfügung stellten, bis hin zu dem oder der Unbekannten, die nach dem Tod von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sowie der Flucht Beate Zschäpes eines der Bekennervideos des „NSU“ in den Briefkasten ener Nürnberger Zeitung einwarfen. Indizien auf Helfer in Nürnberg gibt es auch bezüglich der drei Morde (= Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru und İsmail Yaşar), die Mundlos und Böhnhardt 2000, 2001 und 2005 in Nürnberg verübt hatten, Beweise liegen allerdings keine vor. So fragte man sich auch in anderen Mordfällen, ob es möglicherweise Helfer gab; so etwa im Dortmunder Mordfall Mehmet Kubasik, um den es am 156. Verhandlungstag nochmals ging.

Den Verdacht, dass die Terroristen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ hier möglicherweise von Neonazis aus der militanten Szene in Dortmund unterstützt wurden, äußerten mehrere Opferanwälte , die hierzu am Oberlandesgericht München umfangreiche Beweisanträgestellten.  So soll u.a. Sebastian S. aussagen, der im Dezember 2011, also nur wenige Wochen nach dem Ende der Terrorzelle, bei der Dortmunder Polizei Angaben zu zwei Waffen des „NSU“ gemacht hatte. Bei fast allen Morden des „NSU“ wurde eine Pistole der Marke Ceska verwendet, bei zwei der neun Mordanschläge auf Migranten war es jedoch eine der Waffen, zu den S. aussagte und die abdere Waffe war diejenige, mit der 2007 in Heilbronn die Polizistin Michèle Kiesewetter getötet worden war.

Die Nebenklägeranwälte fanden bei längeren Recherchen, unter anderem in Ermittlungsakten, zudem heraus, dass Sebastian S. vom heutigen Brieffreund der Hauptangeklagten Beate Zschäpe, ein aus Dortmund stammender und gerade in Bielefeld inhaftierter Mann namens Robin S., im Fabruar 2007 der Anstiftung zu einem Raubüberfall beschuldigte wurde. Doch welcher Beihilfe war S. beschuldigt worden? Robin S. hatte im Februar 2007 in einem Dortmunder Geschäft einen tunesischen Kunden angeschossen und laut seiner Aussage soll ihm Sebastian S. die Tatwaffe beschafft haben. Ist S. also ein Waffenbeschaffer? Vielleicht sogar für den „NSU“?

In den Beweisanträgen steht auch, dass Sebastian S., Robin S. und der Sänger einer Neonazi-Band in Dortmund eine militante Gruppe nach dem Vorbild der britischen Terrorvereinigung „Combat 18“ aufgebaut haben sollen. Die Gruppe soll von 2005 bis 2006 existiert und sich in Belgien Waffen verschafft haben. Die Anwälte vermuten, die Neonazis hätten dem „NSU“ womöglich mehr geholfen, als bisher bekannt ist, sollten vielleicht Orte und Objekte für ein Attentat auszuspähen. Das OVG München gab den Beweisanträgen statt.

11.11.2014 = Der 157. Verhandlungstag

Der Thüringer Verfassungsschutz hätte offenbar mit mehr Hartnäckigkeit die 1998 untergetauchten Neonazis vom „NSU“ aufspüren können. Dies ergab an Verhandlungstag 157 die Aussage eines ehemaligen V-Mann-Führers, der von 1998 bis 2001 für Verfassungsschutz-Spitzel Tino Brandt zuständig war. Der frühere V-Mann-Führer bestätigte, dass Brandt im März 1999 erfahren hatte, der damalige Jenaer Rechtsextremist und heutige Mitangeklagte Carsten Sch. halte Kontakt zu den Untergetauchten. Diese Information hatte einen enormen Wert, denn Sch. besorgte dne Dreien im Frühjahr 2000 die Ceska-Pistole, mit der Mundlos und Böhnhardt von September 2000 bis April 2006 neun Migranten türkischer und griechischer Herkunft erschossen.

Der Zeuge sagte zwar aus, dass er heute davon überzeugt sei: hätte der Verfassungsschutz den Mitangeklagten durchgängig observiert, wäre einer Behörde möglicherweise die Übergabe der Waffe nicht entgangen. Auch hätte der Thüringer Verfassungsschutz im März 1999 offenbar sogar aus einer anderen Observation ein Foto von Uwe Böhnhardt in Chemnitz gehabt, was Tino Brandt gezeigt worden sei, der Böhnhardt darauf jedoch jedoch nicht erkannt wolltre. Dass es tatsächlich Böhnhardt gewesen sei, habe sich erst später herausgestellt, sagte der frühere V-Mann-Führer. Direkte Fehler des Verfassungsschutzes bei der Suche nach Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe wollte er aber nicht erkennen, wie er vor dem OLG aussagte.

12.11.2014 und 13.11.2014 = Der 158. und 159. Verhandlungstag

Am 158. Prozesstag war der bayerische Rechtsextremist Kai D. nach München geladen. Der 50-Jährige lieferte als V-Mann Informationen an den Verfassungsschutz – und er war nicht nur in seiner Heimat aktiv: In Thüringen pflegte er Kontakt zu Tino Brandt, dem Gründer des Thüringer Heimatschutzes und ebenfalls V-Mann. Wichtiges Detail im Prozess: D. betrieb Server, auf denen um die Jahrtausendwende das rechtsextreme Thule-Netz zur Verfügung gestellt wurde, ein Forum für Neonazis. Insbesondere die Anwälte der Nebenklage erhofften sich von ihm Informationen über die Aktivitäten Tino Brandts, in dessen Organisation sich das spätere „NSU“-Trio radikalisierte. Jedoch litt Kai D., wie viele Zeugen aus dem rechtsradikalen Bereich vor ihm, unter massiven Gedächtnislücken und sorgte mit seiner Aussage im Münchner Prozess so kaum zu neuen Erkenntnissen bei.

An Tag 159 gab es ebenfalls, zumindest anfangs, Gedächtnislücken, als das Gericht nochmals die Zeugin Sitta I. anhörte und zwar zum Waffenschmuggel der „NSU“-Pistole Ceska 83. Frau I. war in den 1990er Jahren die Lebensgefährtin des Schweizers Hans-Ulrich M., der wohl die Waffe aus seinem Heimatland in die Bundesrepublik brachte. Bei einer Vernehmung im Jahr 1996 belastete sie (den ebenfalls bereits im „NSU“-Prozess als Zeugen vernommenen) Enrico T. – welcher ebenfalls in den Transport der Ceska eingebunden gewesen sein soll – vor einem Schweizer Vernehmungsrinter, T. habe einen sogenannten „Schießkugelschreiber“ besessen, den habe er mutmaßlich von ihrem Ex-Freund Hans-Ulrich M. erhalten. Als sie im Oktober 2014 in München erstmals dazu befragt wurde, fiel ihr der Name von Enrico T. erst auf Nachfrage ein. Dieses Mal sagte sie u.a. aus, dass „die Sache von 1996 wohl so stimmt“.

JEZT - NSU DVD Fruehling - Exemplar 8 - Foto © BKA18.11.2014 = Der 160. Verhandlungstag

Am 160. Verhandlungstag gegen die Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund hat Manfred Götzl als Vorsitzender Richter der 6. STrafkammer am OVG München vier Versionen des „NSU“-Bekennervideos „Frühlung“ zeigen lassen. Darin sind fast alle, der von den „NSU“-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt erschossenen, Migranten zusehen und zwar in Fotoaufnahmen, die unmittelbar nach den Morden von Böhnhardt und Mundlos aufgenommen wurden. Außerdem Eindrücke von den Zerstörungen nach den zwei Sprengstoffanschlägen in Köln. Da dies alles begleitet wurde von der Comic-Figur Paulchen Panther und dessen lustigen Sprüchen, die aus einem völlig anderen Kontext stammten, herrschte nach der Vorführung erst einmal Stille im Gerichtssaal und man merkte: auch wenn die Dimension der Taten des „NSU“ seit nunmehr etwa drei Jahren der Öffentlichkeit bekannt ist, wird der Schrecken in solchen Situationen präsent.

Anlass für die Vorführung der Filme war die Vernehmung eines BKA-Beamten, der Texte aus den Videos „verschriftet“ hat. Die einzelnen Filmversionen haten  Terroristen nach und nach produziert, die ersten Versionen waren Entwürfe. Bundesweit verschickt wurden von Beate Zschäpe nach dem dramatischen Ende des „NSU“ die DVDs mit dem zynischen Auftritt von Paulchen Panther. Die Bundesanwaltschaft wirft der Hauptangeklagten vor, sie habe in den vier Tagen ihrer Flucht 15 Briefe mit dem „NSU“-Videos abgesandt. Empfänger waren unter anderem die Linkspartei in Halle, das Türkische Generalkonsulat in München, eine Moschee in Hamburg und mehrere Zeitungsredaktionen.

Zschäpe selbst schaut am 160. Tag vor Gericht nicht zu den Videos hin, was keine Überraschung war. Überraschend war eine der Aussagen des BKA-Beamten, wonach bereits am 04.11.2009 bei einer ersten Tatortbesichtigung des ausgebrannten Wohnmobils in Eisenach ein Rucksack entdeckt worden war, bei dessen Öffnung einen Tag später der Inhalt fotografiert wurde. Auf den Fotos sind mehrere Kartons mit Patronen sowie Geldbündel zu sehen. Erst einen Monat später, als das BKA den Inhalt des Rucksack „auswertete“, habe man darin sechs DVDs mit dem Bekennervideo gefunden; dies war kurz nachchdem im Schutt der „NSU“-Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße erste Exemplare der DVDs gefunden worden waren. Eine Aussagen, die nicht nur bei den Nebenklägeranwälten Kopfschütteln auslöste.

—————————————————————————————-

MEHR INFORMATIONEN ERHÄLT MAN IN DER

JEZT - RADIO LOTTE Mediathek ... klick!JEZT - Radio Lotte Fazit im NSU Prozess 2014-08-08





Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

« »


JENAhoch2 | Omnichannel-Media für Stadt und Region