„Haushalt – und darüber hinaus“ – Ein sorgenvoller Blick in die Zukunft von Stadtrat Dr. Thomas Nitzsche

21.12.14 • JEZT AKTUELL, START, UNSER JENA, UNSER JENA & DIE REGION3 Kommentare zu „Haushalt – und darüber hinaus“ – Ein sorgenvoller Blick in die Zukunft von Stadtrat Dr. Thomas Nitzsche

FDP Slogan Kommunalwahl 2014 - VERNUNFT VERSTAND VERANTWORTUNG - Abbildung © FDP Jena

Vielleicht liegt es an der Beschlusszeit mitten in der Nacht, aber von der Mutter aller Beschlüsse, dem (Doppel-)Haushalt haben wir in der Zeitung bislang eher wenig gehört: eine Darstellung der Pläne der Koalition vorab, ein kleiner Vierspalter zu ihrem exakt inhaltsgleichen Beschluss tags darauf, und am Tag x plus zwei ruht der See. Dabei hat dieser Haushalt ohne Ende Potential für Bluthochdruck. Gott sei Dank bin ich kein Choleriker. Aber in der Wirtschaft?

Ich fürchte, diese Koalition wird in ihrer Neuauflage noch schlimmer als sie selbst. Schon im Stil der Auseinandersetzung. Wer mit Zwischenrufen in völlig unnötiger Aggressivität pöbelt, aber beim Sitzungsleiter wegen der Scheibenwischergeste um Beistand jammert, wer sachlichst vorgetragene Kritik mit dem Vorwurf der Polemik überzieht, der sieht sein Gegenüber nicht mehr auf Augenhöhe, ja noch nicht einmal mehr nur als lästigen politischen Gegner, sondern als Feind.

Erstes Achtungszeichen war schon die Aufteilung der Ausschussvorsitze komplett unter sich. Zugleich gibt man sich zutiefst gekränkt: die Opposition will sich nicht überall für die Stellvertretung hergeben, die ihr gnadenhalber, aber wie sauer Bier angetragen wird. So ging’s im SEA schon mal skurril zu: Ein hervorragender Vorsitzender war abgesägt, seine frisch gewählte Nachfolgerin im Urlaub, Dezernent Peisker leitet hilfsweise, und als auch er wegen eines Paralleltermins die Sitzung verlässt, rotiert die Leitung einfach per Lotterie innerhalb der Koalition weiter.

JEZT - FDP Stadtrat Dr Thomas NitzscheEinzige Ausnahme mit Oppositionsvorsitz ist der Jugendhilfeausschuss. Nach der Haushaltsberatung wissen wir auch, warum – bzw. wie die Koalition ab jetzt mit ihm umzugehen gedenkt. Da gibt es zum Jugendförderplan (der Zuschussvereinbarung im Bereich Jugendarbeit) einen von Trägern und Politik abgestimmten Änderungsantrag zum Haushalt. Der wird im Ausschuss von Elisabeth Wackernagel (CDU) eingebracht und dort einstimmig, inkl. aller Stimmen der Koalition bestätigt. Im Stadtrat lehnt die Koalition es dann ab, ihn als zusätzlichen Punkt überhaupt mit auf die Tagesordnung zu nehmen. Dann kommt er eben direkt als Änderungsantrag zum Haushalt. Aber der Koalition ging’s gar nicht um die formale Frage der Dringlichkeit. Sie lehnt auch den Antrag selbst ab, und sagt zu diesem kapitalen Vorgang: NICHTS. Kein Wort der Begründung, außer die groteske Verkehrung der Fakten durch Thilo Schieck, die Jugendhilfe sei sonst der einzige Bereich, in dem nicht gespart werde. Richtig gestellt von der Ausschussvorsitzenden Katharina König, sachlich bestätigt von Kämmerer Berger, gleichwohl abgelehnt durch die Koalition, ohne ein weiteres Wort dazu.

Im Übrigen das sattsam bekannte Spiel: Der OB übernimmt den Vorschlag der Koalition, alle anderen Änderungsanträge zum Haushalt werden abgelehnt. Verbal abgearbeitet hat man sich mit Verve am Antrag der Linken. Gereicht hätte dazu der Beitrag von Christian Gerlitz (SPD), der sachlich zutreffend zeigte, dass eine Gegenfinanzierung via Stadtwerke-Ausschüttung keine Lösung ist, weil das am Ende erst recht unsozial wirkt. Alles vor und nach ihm war ideologisches, beim Tatort würde man sagen: Übertöten. Und sollte wohl davon ablenken, dass alle anderen Anträge der Opposition ohne ein einziges Wort der Begründung in den Orkus geschickt wurden. Einzig Frau Haschke (CDU) fand auch ein lobendes Wort zu einem Antrag der Piraten, der auch ein paar zustimmungsfähige Unterpunkte enthielt. Dem Antrag auf getrennte Abstimmung zur Trennung von Spreu und Weizen hat dann aber auch sie nicht zugestimmt – alles sollte auf einmal weg.

Dann noch die Änderungsanträge der FDP. Mit besonderem Nachdruck Richtung CDU hatte ich, so deutlich es nur ging, darauf hingewiesen, dass unser Gegenentwurf zum Haushalt zwei Ziele hat: möglichst geringe Gewerbesteuererhöhung (ganz ohne geht nach fünf Jahren Nullkonsolidierung auf einmal nicht), und die Eltern bei den Kitagebühren nicht auf einen Schlag nachholend voll für das Versäumnis der Koalition haftbar zu machen, die „angemessene Beteiligung“ laut KitaG an den über Jahre gestiegenen Kosten auch durchzusetzen.

Beides braucht Gegenfinanzierung, unsere Anträge dazu wollten etwas mehr Personalabbau als die Verwaltung vorschlug (70 statt 50 Stellen in fünf Jahren) bzw. ein Zurück der Zuschussvereinbarung mit dem Eigenbetrieb JenaKultur auf die Zahl, die bei ihrem Abschluss eine Sicherung des Status quo bedeutet hätte (14,8 statt 15,2 Mio. Euro). Jeweils mit objektiv plausibler Begründung, der man sich anschließen kann oder eben nicht. Vom OB hörten wir bei Einbringung des Haushaltes, mehr als vorgeschlagen gehe nicht. Aber warum? Dazu jenseits der straffen Behauptung nichts. Die Koalition hat in ihrem Antrag auf schriftliche Begründung gleich ganz verzichtet. Und meine eindringliche Frage, warum das geringe Mehr (70 Stellen bzw. 15,2 Mio. Euro) – mit dem 15 Punkte Gewerbesteuer gegenfinanziert wären – NICHT geht, aber 50 Stellen bzw. der laue Kompromiss 15,0 Mio. Euro schon, blieb auch mündlich bis zur Abstimmung unbeantwortet.

FDP Plakat Kommunalwahl 2014 - SCHLAG ZURUECK BEVOR DAS IMPERIUM ZUSCHLAEGT - Abbildung © FDP JenaSelbst unsere beiden „kleinen“ Anträge hatten keine Chance. Gewerbliche Werbung gegen Gebühr an die Stadt? Stumm abgelehnt. 100.000 Euro jährlich, die unsere Wirtschaft gern gezahlt hätte. Den städtischen Kulturkalender abschaffen, um Kosten zu sparen? Da zieht Thilo Schieck das Kaninchen aus dem Hut: geht nicht, Vertrag läuft bis Ende 2015. Dann, auf meine Präzisierung im Antrag: aus „verzichtet künftig“ mache „verzichtet ab 2016“, Jörg Vogel: Zuständigkeit des Werkausschusses – und Ablehnung. Noch ein Schmankerl: den FDP-Antrag zur Abmilderung bei den Kitagebühren auf 50% der vorgeschlagenen Erhöhung hat die Koalition im JHA abgelehnt; im Stadtrat feiert sie sich als Einreicher eines Antrags mit exakt der gleichen Wirkung ordentlich ab.

So geht das. Und im Ergebnis haben wir nun einen Haushalt, bei dem die Koalition sehr ernsthaft zwischen Grund- und Gewerbesteuer abgewogen hat – gegen die Wirtschaft. Von 420 auf 450 Punkte steigt der Hebesatz der Gewerbesteuer; und 450 ist exakt die Zahl, die im allerersten Vorschlag der Verwaltung stand. In diesem Punkt der Beitrag zur Haushaltsgestaltung durch die Koalition: Null. Benjamin Koppe (CDU) versucht stattdessen lieber, den Eindruck zu erwecken, soweit liege man mit der FDP ja gar nicht auseinander.

Völlig falsche Denke! Von Tag 1 an hat sich die FDP gemüht, die 450 wegzukriegen. Hat im Finanzausschuss und im Stadtrat geworben und gedroht, wer nicht woanders ambitionierter spare, werde am Ende nur diese eine Option haben: das Loch bei der Gewerbesteuer zu schließen. Der Koalition aber fehlt zum harten Sparen der Wille, selbst noch auf der Zielgeraden. Wenn laut Bürgerhaushalt zwei Drittel aller Jenaer bereit wären, 12 Euro oder mehr aus der eigenen Tasche zur Entschuldung beizutragen, wäre die Grundsteuererhöhung sogar vertretbar gewesen. Für die CDU aber ein No-Go, das wussten wir. Daher Anpassung unseres Gewerbesteuer-Vorschlags auf 440 statt 435 – also ohne Grundsteuer, damit es für die Koalition übernehmbar wird. Aber statt Dank für das Entgegenkommen gibt’s Häme: „Sie schaffen doch auch nur 440!“, tönt der frisch gebackene neue Vorsitzende des Finanzausschusses und Vorsitzende einer der drei Selbstbedienungsfraktionen.

Das alles vor dem Hintergrund der Sorge in der Wirtschaft, was die Regierung Ramelow sich in Erfurt wohl so alles vornehmen wird. Vor dem Hintergrund des vor zwei Monaten in Abwesenheit der FDP einstimmig beschlossenen TTIP-Antrags: Symbolpolitik nur, aber psychologisch für die Wirtschaft ein gezielter Tritt ins Gemächt. Und dann dieser Haushalt. Da scheidet, so wie derzeit in Jena kommunal aufgestellt, sogar die CDU als strategischer Partner für die FDP aus. Da kann einem für die Wirtschaft, das Rückgrat all unserer schönen weichen Standortfaktoren, echt schummrig werden.





3 Kommentare

  1. Robert W. sagt:

    Politik hat eben nicht nur etwas mit Macht zu tun sondern auch mit Geld. Das werden auch „die da oben“ lernen müssen, die „da oben“ in Erfurt jetzt das Sagen haben, nachdem sie zuvor schon so viel gesagt hatten.

    Im Falle Jena halte ich es für sehr gefährlich, wenn unsere Betonmischer so abgehoben regieren und noch nicht einmal Krümel für die Opposition übrig lassen. Wenigstens einen Änderungsvorschlag hätte man annehmen könne, egal ob rot, blau/gelb oder orange/schwarz. Das hätte wahren Sparwillen durchblicken lassen. So ist man sich selbst der beste Koch, hat natürlich den absoltuten Durchblick und segnet nur die eigenen Ideen ab.

    Und da Politik eben nicht nur etwas mit Macht zu tun hat sondern auch mit unserem Geld, das sie für ihr Geld halten (und z.B. für Eichplatz-Werbung verpulvern, wobei mir der Ausdruck „too much“ bei dem, das dieses Jahr passierte, eher eine Untertreibung ist) scheint es eher hinderlich, wenn man dem Dreigestirn erklärt, dass es nicht um sie sondern um Jena geht.

    Bitte bleiben Sie dran an der Sache: konstruktiv, hart und mahnend.

  2. Kritische Jenenserin sagt:

    „Selbstbedienungsfraktionen“ – Ich finde, dieser Ausdruck von Ihnen bringt das ganze Dilemma in Jena auf den Punkt. Wahren Demokraten stünde es gut an, den Bürgern ein wenig mehr Respekt entgegen zu bringen. Auch die Opposition in Jena sind schließlich Bürger der Stadt. So weit ich mich erinnern kann, waren dies bei der Stadtratswahl immerhin 45 % aller Wählerstimmen.

  3. G. Zeidler sagt:

    Es ist bedauerlich, daß gerade die FDP nicht mehr unternehmen kann, gegen diese unsägliche Parteienkonstruktion. Jena hat welt mehr verdient als eine SPD, die uns alle zum Narren hält, und eine CDU, die willfährig assistiert. Machen Sie was draus Herr Nitzsche.

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