„Fünf nach Zwölf“: Herr Lambsdorff, ist das „Nein“ der Griechen im Referendum jetzt der Grexit?

05.07.15 • INTERESSANTES, JEZT AKTUELL, STARTKeine Kommentare zu „Fünf nach Zwölf“: Herr Lambsdorff, ist das „Nein“ der Griechen im Referendum jetzt der Grexit?

Euromuenze Griechenlandkarte - Foto © FDP

Die Griechen haben am Sonntag in einem Referendum über die Sparforderungen der internationalen Geldgeber abgestimmt. Alexander Graf Lambsdorff, Vizepräsident des Europäischen Parlaments (Foto), sieht durch das „Nein“ der Griechen im Referendum den Ausstieg Griechenlands aus dem Euro gekommen. „Dann haben wir ökonomisch einen Grexit“, sagte der FDP-Europaabgeordnete im Deutschlandfunk. Gleichzeitig kritisierte er das Thema als zu komplex für ein Referendum.

Durch das „Nein“ sei „ganz klar, dass all das, was an notwendigen Maßnahmen unternommen werden müsste, um die Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands wieder herzustellen, um die Schuldentragfähigkeit wieder herzustellen, um Griechenland zu einem soliden Partner zu machen, nicht politisch getragen wird in Griechenland“, so Lambsdorff und gibt auch zu bedenekn: „Wo kommen wir denn da hin, wenn wir in der Eurozone tatsächlich mit 18, 19 Mitgliedern anfangen, in jeder Phase irgendwelche Referenden abzuhalten? Dann ist natürlich die Führung einer solchen Eurozone nicht gewährleistet.“

Alexander Graf Lambsdorff - Foto ©  Freie DemokratenLesen Sie hier Ausschnitte aus dem Interview:

Bettina Klein: Herr Lambsdorff, müssen wir davon ausgehen, es bleibt wie angekündigt, es gibt ein Referendum am Sonntag und das wird mit Nein ausgehen?

Alexander Graf Lambsdorff: Teil eins Ihrer Frage würde ich mit Ja beantworten. Alexis Tsipras hat gestern noch einmal in Athen bekräftigt, dass das Referendum stattfinden soll. Das Ergebnis des Referendums allerdings halte ich für offen. Heute Morgen sind Umfragen hereingekommen hier in Brüssel, denen zufolge 43 Prozent der Griechen sagen, sie würden mit Ja stimmen, 39 Prozent mit Nein, und eine ganze Zahl ist noch unentschieden. Das heißt, wie das Ganze ausgeht, ist zurzeit nicht abzusehen.

Schauen wir kurz auf zwei mögliche Szenarien. Das Land stimmt mit Nein; was dann?

Wenn das Land mit Nein stimmt, dann ist das eine Bestärkung der Linie der griechischen Regierung, eine Bestärkung der Syriza, der linksextremen Regierung von Tsipras und Varoufakis. Das bedeutet, dass die beiden ein Mandat haben, mit der Eurogruppe noch erheblich härter zu verhandeln. Aber das ist dann Sache der Eurogruppe, darauf zu reagieren. Nach Auffassung der FDP bedeutet ein Nein den Abschied aus dem Euro für Griechenland, weil dann ist ganz klar, dass all das, was an notwendigen Maßnahmen unternommen werden müsste, um die Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands wieder herzustellen, um die Schuldentragfähigkeit wieder herzustellen, um Griechenland zu einem soliden Partner zu machen, nicht politisch getragen wird in Griechenland. Insofern: Ein Nein wäre der Grexit.

Ein Abschied aus dem Euro, für den es aber – darauf beharrt ja auch die griechische Regierung – keine gesetzliche Grundlage gibt.

Das ist auch richtig. An dem Punkt kann man der griechischen Regierung nicht widersprechen. Rechtlich gesehen ist das Ganze schwierig. Nur: Ökonomisch gesehen – und wir reden hier über eine Währungsunion und sind nicht in einem Rechtsseminar; ich glaube, das ist der Punkt, den Herr Varoufakis noch nicht so erfasst hat -, rechtlich gesehen ist es so wie er sagt. Ökonomisch gesehen ist es so, wenn die griechische Regierung ihre Rentner, ihre Beamten, ihre Soldaten nicht mehr bezahlen kann, weil sie keine Euros hat, dann wird sie zu einer Parallelwährung übergehen müssen. Sie wird dann entweder Schuldscheine ausstellen müssen, oder sie wird Drachmen einführen müssen. Sie wird mit anderen Worten eine zweite Währung in den Kreislauf einbringen müssen und dann haben wir ökonomisch einen Grexit, unabhängig von der rechtlichen Situation.

Schauen wir noch mal grundsätzlich auf dieses Referendum. Wir haben ja inzwischen gelernt, dass der Europarat beklagt, dass damit gegen mehrere Punkte der Europaratsregularien verstoßen wird. Es ist einerseits zu kurzfristig angesetzt, es ist nicht klar genug formuliert. Sehen Sie das auch so und wenn ja, bleibt das ohne Konsequenzen? Oder ist es eigentlich egal, was der Europarat dazu sagt?

Der Europarat ist eine wichtige Institution und ich glaube, er hat völlig Recht, wenn er darauf hinweist, dass hier Standards unterlaufen werden. Das Ganze ist ja übers Knie gebrochen worden. Am Freitagabend letzter Woche wurde plötzlich bekannt, dass es acht Tage später ein Referendum geben soll. Die Frage habe ich mir durchgelesen. Die ist für die griechischen Normalbürger, wenn man das so sagen darf, wirklich nicht zu verstehen. Dort geht es darum, ob er einer bestimmten Programmvariante, die die Institutionen vorgelegt haben, zustimmen möchte in zwei Dokumenten. Diese Dokumente werden in der Frage dann benannt, einmal auf Griechisch, aber dann auch auf Englisch. Das Ganze ist in der Tat nicht nachzuvollziehen für den Normalbürger. Insofern: Der Europarat hat Recht, wenn er darauf hinweist, dass das nicht die Standards erfüllt. Andererseits ist Griechenland souverän, das so zu machen wie es will. Ich glaube, das ist eher eine Debatte, die für die Zukunft wichtig ist. Wenn man in Zukunft Referenden abhalten will, dann sollte man auf den Europarat vielleicht vorher hören.

Aber de facto noch mal nachgefragt. Konsequenzen hat das nicht? Das heißt, selbst wenn es gegen Regularien des Europarates verstößt, wird das Ergebnis des Referendums anerkannt in der EU?

Das sind keine Regularien im Sinne von rechtlich bindenden oder gesetzlichen Vorschriften, sondern das sind Standards, das sind Empfehlungen. Das hat insofern, da haben Sie Recht, keine Konsequenzen, wenn die Griechen es so machen, wie sie es jetzt machen.

Okay, es sind Empfehlungen. – Herr Lambsdorff, Herfried Münkler, der Politikwissenschaftler, hat gestern Morgen bei uns im Programm gesagt: Wenn wir anfangen, über die Europapolitik Referenden abzuhalten, dann ist das europäische Projekt tot. Damit hat er zurückgewiesen das Argument, dass damit ein hohes Maß von Basisdemokratie verbunden ist. Hat er Recht?

Er hat zumindest in Teilen Recht. Es mag europapolitische Fragen geben, bei denen ein Referendum geeignet ist, zum Beispiel, wenn in Großbritannien jetzt gefragt wird, rein oder raus. Das ist eine so klare Frage, die kann man auch in einem Referendum entscheiden. Aber die Frage, welches Programm in welchem Stand angenommen werden soll oder nicht, die ist so komplex, die ist so schwierig. Die eignet sich derartig für Desinformation und Missbrauch, dass in so einem Fall ein Referendum sinnvoll nicht durchzuführen ist.

Abgesehen davon – und das ist wirklich eine Frage, die wir auch in der FDP sehr intensiv diskutiert haben: Wo kommen wir denn da hin, wenn wir in der Eurozone tatsächlich mit 18, 19 Mitgliedern anfangen, in jeder Phase irgendwelche Referenden abzuhalten? Dann ist natürlich die Führung einer solchen Eurozone, die Governance, wie das auf Englisch oder auch auf Neudeutsch heißt, nicht gewährleistet. Dann werden Länder gegeneinander gestellt, gegeneinander ausgespielt. Nehmen wir mal an, in Finnland gäbe es ein Referendum – Finnland ist ein Geberland -, oder noch dramatischer vielleicht in Estland und der Slowakei, wo die Leute deutlich ärmer sind als in Griechenland, trotzdem sich an der Stabilisierung beteiligen. Mit anderen Worten: Der Ruf nach Referenden klingt erst mal gut. Frau Wagenknecht hat sich ja auch da entsprechend geäußert. Aber das Ganze führt natürlich in den Abgrund, wenn man tatsächlich Europa nur über Referenden führen möchte.

Das heißt aber im Umkehrschluss praktisch auch: Europa in der gegenwärtigen Form ist im Zweifel nur gegen die Bevölkerungen durchzusetzen?

Nein, aber es gibt Situationen, wo sie Entscheidungen treffen müssen, die relativ kompliziert sind und wofür die Institutionen der repräsentativen Demokratie, das heißt die Parlamente da sind. Die sind diejenigen, die geeignet sind, bestimmte Entscheidungen zu treffen. Ich wundere mich auch, dass die Regierungen nicht schon viel mehr gemacht haben, auch die Bundesregierung. Wolfgang Schäuble hatte zur Zeit der schwarz-gelben Bundesregierung zugesagt, Regeln für eine Staateninsolvenz beispielsweise zu entwickeln. Bis heute liegt dazu nichts auf dem Tisch.

Was passiert mit den Schulden gegenüber öffentlichen Gläubigern? Was passiert mit den Schulden gegenüber privaten Gläubigern? Welche Automatismen in der Haushaltspolitik muss es im Fall einer Insolvenz geben? Das sind zum Beispiel sehr komplizierte Fragen. Die Bundesregierung ist hier in der Pflicht, etwas vorzulegen. So etwas können Sie nicht über ein Referendum machen. Wir warten noch darauf, dass Herr Schäuble sich dazu äußert.





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