Zwei Jahrzehnte MP3 – oder: Wie eine Idee aus Erlangen die Musikbranche revolutionierte!

18.07.15 • JEZT AKTUELL, START, WISSENSCHAFT, MEDIZIN & TECHNIKKeine Kommentare zu Zwei Jahrzehnte MP3 – oder: Wie eine Idee aus Erlangen die Musikbranche revolutionierte!

JEZT - MP3 Player - Symbolbild © MediaPool Jena

(JEZT / FRAUNHOFER INSTITUT) – Vor etwas mehr als zwei Jahrzehnten entwickelte der Elektrotechniker Karlheinz Brandenburg mit seinen Kollegen Bernhard Grill und Harald Popp das Datei-Format mp3. Heute leitet  Brandenburg in Ilmenau das Fraunhofer Institut für Digitale Medientechnologie (IDMT), damals arbeitete er  im Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen (IIS) in Jenas Partnerstadt Erlangen und revolutionierte die Musikbranche, ohne dass er oder seine Kollegen dies wussten.

Vor genau 20 Jahren erhielt das Format für digitale Musik, welches die drei Innovatoren gemeinsam entwickelt hatten,  seinen heute weltweit bekannten Namen als Dateiendung für das Audiokompressionsverfahren mit der komplizierten technischen Bezeichnung „ISO Standard IS 11172-3 / MPEG Audio Layer 3“. mp3 ist mehr als eine Technologie, mp3 ist inzwischen ein kulturelles Phänomen. Und mp3 ist ein Beispiel für erfolgreiche Forschung, Entwicklung und Vermarktung „Made in Germany“. Denn ebenso wichtig wie die Entwicklungsarbeit in den späten achtziger und frühen neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts war die Vermarktung der neuen Technologie. Die Fraunhofer-Entwickler suchten nach Anwendungsmöglichkeiten für mp3 und hatten bald die Vision von mobilen Musikspielern, auf denen Musikliebhaber ihre gesamte Sammlung speichern können. Anfangs für ihre Ideen noch belächelt, schafften es das Fraunhofer-Team gegen den Widerstand der etablierten Industrie, mp3 zu einem Welterfolg zu führen.

JEZT - Gruendung der International AudioLabs Erlangen vlnr Harald Popp Bernhard Grill Heinz Gerhaeuser und der Rektor der Uni Erlangen-Nuernberg Karl-Dieter Grueske - Foto © Fraunhofer IIS Erlangen

Gründung der „International AudioLabs“ Erlangen (v.l.n.r.): Harald Popp, Bernhard Grill, Heinz Gerhäuser und der Rektor der Uni Erlangen-Nürnberg, Karl-Dieter Grüske – Foto © Fraunhofer IIS Erlangen

mp3 komprimiert und speichert Musik. Im Vergleich zum Original benötigt eine mp3-Datei nur rund 10 Prozent des ursprünglichen Speicherplatzes. So kann Musik schnell über das Internet übertragen und auf mp3-Playern gespeichert werden. Ein moderner mp3-Player speichert je nach Speichergröße zwischen 2.000 und 200.000 Minuten Musik, das sind über 130 Tage ununterbrochene Musikwiedergabe. Die gesamte Sammlung eines Musikliebhabers passt so in ein Gerät nicht größer als eine Streichholzschachtel.

Die Idee der Audiokompression und erste grundlegende Arbeiten in diesem Bereich entstanden an der Universität Erlangen-Nürnberg. In Zusammenarbeit mit dem IIS in Erlangen wurde ab 1987 das mp3-Verfahren dann von einem größeren Team fortentwickelt. Maßgeblich zum Erfolg beigetragen haben neben Brandenburg, Grill und Popp auch Ernst Eberlein, Heinz Gerhäuser und Jürgen Herre sowie viele weitere Personen und Forschungseinrichtungen.

Wie funktioniert mp3?

Musik besteht aus sehr vielen verschiedenen Komponenten, die aber nicht gleich gut hörbar sind. So bleibt dem Zuhörer zum Beispiel ein leises Flötenspiel möglicherweise verborgen, wenn gleichzeitig kräftig in die Trompete geblasen wird. Zwar ist das Flötenspiel immer noch vorhanden, aber das menschliche Ohr kann es im Augenblick des Trompetenspiels nicht mehr wahrnehmen: Die Flöte wird durch die Trompete verdeckt bzw. maskiert. Jürgen Herre: „mp3 macht sich die Eigenschaften des menschlichen Gehörs zu Nutze. Die Teile der Musik, die für den Menschen besonders gut hörbar sind, werden auch besonders genau dargestellt. Weniger gut hörbare Anteile werden weniger genau abgebildet, unhörbare Informationen können ignoriert werden.“ So wird also das Trompetenspiel in unserem Beispiel besonders genau dargestellt, das Flötenspiel hingegen eher ungenau. Diese flexible Darstellung hilft Daten zu sparen und führt gleichzeitig eine Abweichung in das Musiksignal ein. Dieses sogenannte Codiergeräusch wird allerdings idealerweise maskiert, ähnlich wie das Flötenspiel im genannten Beispiel.

JEZT - Tonsignal ohne Kompression und als mp3 mit Kompression - Symbolbild © Fraunhofer IIS Erlangen

Die Grafiken veranschaulichen den Pegel des Codiergeräuschs in einem mp3-codierten Musikstück. Jeder Balken steht für einen bestimmten Frequenzbereich. Je höher ein Balken ist, desto mehr Codiergeräusch wurde in das Signal eingefügt. Überschreitet ein Balken gar die Maskierungsschwelle bei 0 dB, so kann das Codierrauschen möglicherweise von einem Hörer wahrgenommen werden. Bei hohen Datenraten überschreitet ein Balken diese Linie nur selten, das mp3-Musikstück klingt für das menschliche Ohr wie das Original. Bei niedrigen Datenraten geschieht dies häufiger, Unterschiede zum Original können hier hörbar werden. – Symbolbild © Fraunhofer IIS Erlangen

Je niedriger die Qualitätsstufe bei mp3 gewählt wird (d.h. je stärker die Musik komprimiert wird), desto ungenauer wird das Musiksignal dargestellt. Unterhalb einer bestimmten Grenze wird das eingeführte Codierrauschen nicht mehr maskiert. „Es ist doch der Traum jedes Forschers, etwas Nützliches für die Menschheit zu entwickeln“, sagt Karlheinz Brandenburg und fügt an: „Wir träumten damals vom digitalen Hör-Rundfunk und Millionen von Nutzern. Jetzt sind es viele Milliarden Geräte, die mit dem Format arbeiten, das übersteigt die damaligen Träume noch deutlich.“ Aber es gibt auch einen bedeutenden externen und gleihcsam ärgerlichen Punkt der mp3-Erfolgsgeschichte. Ursprünglich sollte die Encoder-Software, die Musikstücke in das mp3-Format wandeln konnte, für teure Lizenzen an die Musikindustrie verkauft werden. 1997 jedoch erwarb ein australischer Student ein Fraunhofer-mp3-Programm, entdeckte den in Deutschland entwickelten Algoritmus und stellte den Encoder fortan für alle Nutzer frei verfügbar ins Netz. „Er hat damit unerlaubt unser Geschäftsmodell zerstört“, beschwerte sich Brandenburg 2011 in einem Interview mit dem US-Rundfunksender NPR, denn seither konnte man überall auf der Welt CDs in handliche mp3-Dateien umwandeln.

Zwar kamen bereits 1998 die ersten industriell gefertigten mp3-Player in den Verkauf, jedoch dauerte er erst bis Herbst 2001 – damals stellte Apple-Chef Steve Jobs den ersten iPod der Öffentlichkeit vor – bis der Siegeszug der mp3-Abspielgeräte begann. Aktuell haben aber schon wieder Smartphones die Aufgabe der mp3-Player übernommen und es zeichnet sich ab, dass Online-Streaming-Dienste wie Apple-Music zukünftig das Hauptverbreitungsbeiet für mp3-Dateien sein werden. Jedoch können Musikfreunde weltweit wohl darauf vertrauen, dass „ihre“ in mp3 codierten Musikstücke niemals „veralten“ werden, denn Bernhard Grill prophezeit, dass man auch in 100 Jahren noch die Dateien von heute in mindestens gleicher Klangqualität werde abspielen können.

Deutschland gehört auch dank mp3 auch weiterhin zur weltweiten Spitze in der Entwicklung von Audiotechnologien. So werden Einnahmen in Millionenhöhe erwirtschaftet und in neue Forschungsprojekte investiert. Und der deutsche Staat profitiert von Steuereinnahmen und Arbeitsplätzen. Zudem ist mp3 ein Weltstandard und eine deutsche Visitenkarte im Ausland. Die Bundesregierung warb anlässlich ihrer EU-Ratspräsidentschaft mit einer eigenen Serie von mp3-Playern für den Innovationsstandort Deutschland. und die durch mp3 induzierten Steuereinnahmen summieren sich für Bund und Länder auf jährlich mindestens 300 Millionen Euro. Die Lizenzerträge allein der Fraunhofer-Gesellschaft aus den mp3-Patenten summieren sich für diese jährlich auf einen hohen zweistelligen Millionenbetrag.

Übrigens: Schon gehört? Bis zum April 2002 sendete ZONO Radio Jena seine aufgezeichneten Sendungen entweder im .wav-Format oder im ATRAC-Format . Seit April 2003 haben alle vorproduzierten Sendungen von uns das mp3-Format.





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