„Kommt jetzt die Wende im NSU Prozess?“: Zschäpe lässt nächste Woche eine 70-seitige Erklärung verlesen – Wohlleben wird persönlich aussagen

30.11.15 • INTERESSANTES, JEZT AKTUELL, STARTKeine Kommentare zu „Kommt jetzt die Wende im NSU Prozess?“: Zschäpe lässt nächste Woche eine 70-seitige Erklärung verlesen – Wohlleben wird persönlich aussagen

JEZT - Beate Zschaepe im Muenchner OLG - Foto © MediaPool Jena

Beate Zschäpe im Münchner OLG – Foto © MediaPool Jena

(JEZT / TIM SCHWARZ) – Derzeit ist Pause im „NSU“-Prozess vor dem Oberlandesgericht in München, doch die kommende Woche könnte die Wende im Prozess bringen. Gleich zwei Jenaer Angeklagte werden dann ihr Schweigen brechen. Einer von Ihnen sogar mit eigenen Worten, wie Nicole Schneiders, Olaf Klemke und Wolfram Nahrath als Verteidiger von Ralf Wohlleben am Wochenende erklärten. Aber zuerst wird es wohl zur Aussage von Beate Zschäpe kommen. Auf etwa 70 Seiten soll Zschäpe ihre eigene Version der Taten des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ schildern, wie das Nachrichtenmagazin SPIEGEL berichtete – verlesen von einem ihrer Anwälte.

Mit dieser Idee trug sich die Hauptangeklagte wohl seit längerem. Bereits zu einer Zeit, als das Verhältnis und der Umgang mit ihren drei ersten Pflichtverteidigern Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl sowie später Anja Sturm noch ungetrübt schien, muss Zschäpe die Idee einer solchen „Einlassung“ (wie es im Juristendeutsch heißt) ihrer Verteidigung vorgeschlagen haben. Trotzdem riet man ihr offensichtlich davon ab. Weshalb? Ganz einfach: jedes Gericht muss einem oder einer Angeklagten die ihm oder ihr zur Last gelegten Taten eindeutig nachweisen, ansonsten heißt es im Zweifel für sie oder ihn zu entscheiden.

Wenn ein Angeklagter also schweigt – ein Recht, dessen Gebrauch ihm nicht zum Nachteil auszulegen ist – dann kann er durchaus seine Position stärken. So mancher Freispruch und viele milde Urteile begründen sich ja gerade darauf, dass die Anklage es nicht schaffte, Angeklagte derart gerichtsfest ihrer Taten oder einer Mittäterschaft zu überführen, dass das Gericht keinen Zweifel mehr an der Schuld hegte. Wer also vor Gericht sein Schweigen bricht, der sollte umfassend „auspacken“ und alle Rückfragen zum Geständnis zulassen, um so unzweifelhaft seinen Aufklärungswillen an den Taten aufzuzeigen. Will er dies nicht, will er oder sie vielleicht nur – aus welchen Gründen aus immer – eine eigene, geschönte Version der zur Last gelegten Vorgänge präsentieren, dann bringt dies nur selten etwas und deshalb hatten Zschäpes Erst-Verteidiger ihr wohl davon abgeraten. Das Risiko, Dinge zuzugeben, die bisher beweis-juristisch „in der Schwebe“ sind, und damit die eigene Position vor Gericht erheblich zu verändern, ist naturgemäß sehr groß.

JEZT - Ralf Wohlleben im Muenchner NSU Prozess - Foto © Dominik Jahn

Ralf Wohlleben im Münchner „NSU“-Prozess – Foto © Dominik Jahn

Anders Ralf Wohlleben. Die Festnahme des früheren Thüringer NPD-Vizeparteichefs legte schon Ende 2011 nahe, dass die Verquickung von rechter Partei und rechter Gewalt wohl radikaler war, als zuvor angenommen. Der 40-Jährige ist in München wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen angeklagt, weil er dabei geholfen haben soll, den „NSU“-Terroristen die Mordwaffe beschafft zu haben, mit der Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt neun Männer türkischer und griechischer Herkunft erschossen haben.

„Herr Wohlleben wird selbst aussagen“, schrieben seine Anwälte am Wochenende und sie erklärten zudem, er werde die Fragen aller Verfahrensbeteiligten beantworten“. Und noch etwas teilten Wohllebens Verteidiger durch ihre Erklärung kryptisch mit: der 29. November als Datum der Erklärung ist durchaus als eine Art symbolische Botschaft an die rechte Szene zu verstehen, denn exakt vor vier Jahren, am 29. November 2011, wurde Ralf Wohlleben verhaftet. „Zwei Mitangeklagte belasteten Herrn Wohlleben schwer“, schreiben Klemke, Nahrath und Schneiders. Wohlleben wolle daher vor Gericht „einige Dinge klarstellen“. Jedoch habe sich „an den politischen Überzeugungen“ ihres Mandanten nichts geändert, erklären sie und fügen mehrdeutig an, Wohllebens kommende Aussage – offensichtlich der in der Szene geächtete Verrat von Kameraden – sei als ein „Akt der Notwehr“ zu verstehen.

Dass man dabei Beate Zschäpe den Vortritt beim „auspacken“ lässt, ist sicherlich allein taktisch begründet, denn weshalb sollte Ralf Wohlleben etwas zugeben, das Zschäpe gar nicht erwähnt und damit also noch (siehe oben) „in der Schwebe“ wäre. Für Wohllebens Anwälte und ihn ist es daher höchst interessant, was Zschäpe über ihren früheren Kameraden in der kommenden Woche dem Gericht zu berichten hat und was nicht. Denkbar ist durchaus, dass Wohlleben gar Zschäpe schwer belasten wird – aus reiner „Notwehr“ versteht sich.





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