Der 244. bis 249. Verhandlungstag im Münchner „NSU“-Prozess

21.12.15 • INTERESSANTES, JEZT AKTUELL, STARTKeine Kommentare zu Der 244. bis 249. Verhandlungstag im Münchner „NSU“-Prozess

JEZT - Inside NSU - Symbolbild © MediaPool Jena 2015

Zusammengefasst und kommentiert von Tim Schwarz:

19.11.2015: Der 244. Verhandlungstag

An diesem Verhandlungstag ging es alleine um Verfahrensfragen – Zeugen wurden nicht gehört. Es gab erweiterte Anträge von Beate Zschäpes Alt-Verteidigern zu ihren vorherigen Anträgen, von ihren Mandaten entbunden zu werden. Dies machte den ursprünglichen Zeitplan zunichte. Sie forderten nochmals ihre Entlassung, weil eine Verteidigung im Sinne der Interessen ihrer Mandantin „künftig nicht mehr möglich“ sei und begründeten dies nun wie folgt: „Unsere Verteidigerbestellungen sind nur noch Fassade und dienen erkennbar nur der Aufrechterhaltung des Scheins einer ordnungsgemäßen Verteidigung.“

Anja Sturm, Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl baten um das Wort und führten vor Gericht aus, das Verhalten des Landgerichtes in München lasse sie befürchten, dass „jegliche prozessuale Aktivitäten unsererseits einem uns möglicherweise nicht bekannten Verteidigungskonzept zuwiderlaufen“. Zudem habe sich die Verteidigung Zschäpes „nunmehr faktisch auf einen anderen einen Verteidiger verlagert“. Von einer ordnungsgemäßen Verteidigung könne deshalb keine Rede mehr sein.

Am Nachmittag verzögerten dann hauptsächlich die drei Anwälte von Ralf Wohlleben den Prozess. Sie verlasen und zitierten wechselweise ihren Befangenheitsantrag vom 243. Prozesstag und lasen zudem wörtlich komplette Anträge und Gerichtsbeschlüsse aus den vergangenen Wochen, darunter mehr als eine Stunde lang nahezu vollständig den Entlassungs-Antrag von Zschäpes Alt-Verteidigern vom Vormittag. Zuvor hatte sie um eine Pause von drei Stunden gebeten, ihren Befangenheitsantrag zu erarbeiten, was das Gericht ihnen gestattete.

24.11., 25.11. und 26. 2015: Der 245. bis 247. Verhandlungstag

Am Vormittag des 245. Verhandlungstages ging es um Formalien. Zunächst begründete das Landgericht, weshalb der Befangenheitsantrag der Wohlleben-Anwälte gegen das Gericht verworfen wurde. Abgelehnt wurde später auch der Wunsch der drei bisherigen Zschäpe-Altverteidiger, aus ihren Funktionen entlassen zu werden. Am Nachmittag befasste sich das Gericht mit einer Liste von potentiellen Anschlagszielen des „NSU“. Im Zeugenstand erschienen zwei Beamte des Bundeskriminalamtes, die nach der Aufdeckung des „Nationalsozialistishen Untergrunds“  im November und Dezember 2011 zahllose Kartenausdrucke und Adressenlisten ausgewertet hatten. Diese hatte die Polizei in der ausgebrannten Zwickauer Wohnung des Terror-Trios gefunden  und aus Angst vor Attentaten unbekannter „NSU“-Komplizen im Eilverfahren auswerten lassen.

Es ging hierbei um Stuttgart, Kassel, Stralsund, Greifswald, Münster, Bielefeld, außerdem um Listen, die Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in den Jahren 2006 und 2007 erstellt hatten. Hierauf zu finden waren nach Einschätzung der Ermittler potenzielle Anschlagsziele. Und die reichten von Privatwohnungen SPD-Bundestagsabgeordneter über örtliche CDU-Büros bis hin zu jüdischen Einrichtungen, türkischen Kulturvereinen und Gebäuden der katholischen Kirche. Detailliert beschrieben wurde in den Listen aber auch die Lage etlicher Bank- und Sparkassenfilialen, von denen einige ja tatsächlich von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ausgeraubt wurden. Die Frage, ob die Rechtsterroristen diese Listen selbst anfertigt oder sich der Hilfe von Komplizen vor Ort bedient hätten, konnten die beiden BKA-Beamten heute nicht beantworten.

Der 246. Tag im „NSU“-Prozess brachte ein wenig mehr Klarheit über die, offenbar in betrügerischer Absicht erfundene, Nebenklägerin Meral Keskin. Dazu sagte der Rechtsmediziner Oliver Peschel aus, der ein Gutachten zu Keskin erstellt hat – dies, obwohl er diese niemals persönlich getroffen haben konnte, da sie nachweislich nicht existiert. Ein Sachverständiger stellte zudem eine Expertise über Falco K. vor, ein Opfer des ersten bekannten Überfalls von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt auf einen Chemnitzer Supermarkt im Jahr 1998. Der Zeuge hatte nach seiner ersten Aussage im Juni erklärt, sich dem Verfahren als Nebenkläger anschließen zu wollen. Ebenfalls geladen waren drei Ermittler von BKA und Polizei, die Aussagen zu verschiedenen Asservaten machen, die aus dem Besitz des „NSU“ sichergestellt wurden. Dabei geht es auch um falsche Personalien, mit denen sich das Trio Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe während des Lebens im Untergrund tarnte.

Ein Wegbegleiter des „NSU“-Trios war am Donnerstag, den 27.11.2015  ins Gericht geladen: Der Zeuge Volker H. sollte als möglicher Fluchthelfer vernommen werden, am Tag als Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Januar 1998 in den Untergrund abtauchten. Leider wartete man mehr als zwei Stunden lang vergeblich auf ihn, bis er gegen 11 Uhr mitteilen ließ, dass er wegen einer Autopanne „auf der Autobahn liegen geblieben“ sei und nicht kommen könne. Er wurde für einen späteren Zeitpunkt vorgeladen und der Vorsitzende Richter brach den 247. Verhandlungstag mit dem Gang in die Mittagspause ab.

Während des Warten hatte Richter Götzl aus einem „Blood and Honour“-Heft vorlesen lassen, das in Beate Zschäpes Garage entdeckt wurde nachdem das Trio abgetaucht war. So waren Zitate zu hören wie „Vernichtet dieses Ungeziefer“ oder „erschießt sie in ihren Autos, schlagt ihre schmierigen Köpfe ab“. Das Heft stammt aus dem Jahr 1996 und lag damals mit weiteren Neonazi-Schriften in der Zschäpe-Garage neben Material zum Bombenbau.

08.12. und 09.12.2015: Der 248. und 249. Verhandlungstag

Der 248. Verhandlungstag brachte erneut nur verfahrenstechnische Dinge zur Sprache; Zeugen wurden nicht gehört. Beate Zschäpe sei psychisch angeschlagen hieß es, könne aber weiter am „NSU“-Prozess teilnehmen. Die Einlassung der Hauptangeklagten „werde morgen erfolgen“, sagte Zschäpes Verteidiger Mathias Grasel zu Beginn des Verhandlungstages im Oberlandesgericht München. Zschäpes selbst nickte auf die Frage des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl, ob es ihr gut gehe.

Grasel bat das Gericht in der Folge, den Donnerstag als 250. Prozesstag entfallen zu lassen. Der Anwalt schlug den Richtern zudem vor, sie sollten zu der Aussage Zschäpes einen Fragenkatalog erstellen. Den wolle er dann am Wochenende 12./13.12. mit der Angeklagten durchgehen, um schriftlich Antworten zu formulieren. Zschäpe selbst werde im Prozess selbst keine Fragen beantworten, erklärte der Verteidiger. Er beantragte zudem im Namen von Zschäpe, ihren neuen Wahlverteidiger Hermann Borchert als Pflichtverteidiger zu bestellen.

Zum 249. Verhandlungstag siehe diesen Artikel! – Hier jedoch noch einige Gedanken zu Beate Zschäpes Aussage mit wenigen Tagen Abstand geschrieben:

Zschäpe mit ihrer Aussage keine Figuren im Kopf der Zuhörer  erzeugen können sondern mitunter nur Kopfschütteln. Anders als ihr Mitangeklagter Carsten Sch#ltz# steht Zschäpe jedoch nicht „bloß“ wegen Beihilfe zum Mord vor Gericht sondern man wirft ihr Mittäterschaft zum Mord vor. Darauf steht eine mindestens lebenslange Freiheitsstrafe und angesichts der zehn brutalen, eiskalt geplanten und durchgeführten, Morde scheint eine zusätzliche Feststellung der besonderen Schwere der Schuld unvermeidlich zu sein.

Strafmilderung – falls überhaupt – ist bei der Hauptangeklagten aktuell nur dann denkbar, wenn Zschäpe glaubhaft darlegt, was sie im Untergrund mit Böhnhardt und Mundlos umgetrieben hat und vor allem, was sie daran hinderte, zur Polizei zu gehen und dem Rauben und Morden ein Ende zu setzen. Doch was sagte Zschäpe aus? Mundlos und Böhnhardt seien „ihre Familie“ gewesen, so beschreibt sie es mit ihren eigenen Worten, „ihre Familie“ von der sie sich einfach nicht habe lösen können UND WOLLEN. Natürlich: Die Morde habe sie nicht unterstützt, so Zschäpe, aber „Die Kraft mich zu trennen – insbesondere von Uwe Böhnhardt – und mich der Justiz zu stellen, hatte ich nicht.“

Wenn immer sie von durch ihre beiden Freunde hingerichteten Opfern erfahren haben will, sei Zschäpe „wie betäubt“ gewesen, wütend, habe um sich geschlagen, aber sie habe sich einfach „nicht von den beiden lösen“ können, sei nicht in der Lage gewesen, „Konsequenzen zu ziehen“. Und die Raubüberfälle mit den ganz anderen und traumatisierten Opfern? „Auch in Bezug auf das finanzielle Überleben war ich auf die beiden absolut angewiesen“, sagte Zschäpe aus. Und die Juristen unter den Beobachtern rieben sich die Hände angesichts solcher Offenheit der Hauptangeklagten, nach deren Geständnis – immerhin gab Zschäpe sämtliche Taten, die dem „NSU“ zur Last gelegt wurden, ohne Umschweife zu – wohl kaum noch Zweifel an einer harten Verurteilung bestehen.

Natürlich muss immer noch das Gericht der Angeklagten ihre Taten und ihre persönliche Schuld nachweisen, nicht die Angeklagte dem Gericht ihre Unschuld. Und noch ist nichts entscheiden, denn das Gericht wird nun versuchen, Beate Zschäpe und deren Psyche, sprich: den Menschen hinter den Morden, selbst kennenzulernen. Aber es wird sich wohl schnell zeigen, dass ihnen und allen Anderen die wirkliche Beate  Zschäpe weiterhin fremd bleiben wird, denn viele Aussagen im Prozess sprechen gegen sie als eine schwache Frau in angeblicher emotionaler Abhängigkeit.

Schon ihr Umgang mit ihren Alt-Verteidigern zeigt sie als äußerst selbstbewusste Angeklagte, die auch keineswegs Konflikte scheut. Gerichtspsychiater Norbert Nedopil, mit dem Beate Zschäpe zwei Stunden lang sprach, stellte bei ihr „durchaus bemerkenswerte psychische Ressourcen“ fest und erlebte hierbei keine schwache Persönlichkeit. Psychiater Henning Saß, der Zschäpe im Gerichtssaal beobachtete und ihre Historie studierte, kam zu dem vorläufigen Ergebnis , dass sich die Hauptangeklagte trotz ihrer schwierigen Kindheit zu einer selbstbewussten, unabhängigen Frau entwickelt habe, die sich durchaus zu behaupten weiß. Der Mitangeklagte Holger Gerlach sagte, Zschäpe sei „durchsetzungsstark“ und ihr Cousin erklärte, dass sie „die Jungs“ (also Böhnhardt und Mundlos) oft genug „im Griff“ gehabt hatte. Das zu widerlegen hat Beate Zschäpe am 249. Verhandlungstag in München nicht einmal ansatzweise geschafft. Schon gar nicht ihre Behauptungen in irgend einer Weise belegt.

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