Der 250. bis 254. Verhandlungstag im Münchner „NSU“-Prozess

18.01.16 • INTERESSANTES, POLITIK & URBANES LEBEN, STARTKeine Kommentare zu Der 250. bis 254. Verhandlungstag im Münchner „NSU“-Prozess

JEZT - Inside NSU - Symbolbild © MediaPool Jena 2015

Zusammengefasst und kommentiert von Tim Schwarz:

15.12.2015: Der 250. Verhandlungstag

Volker H., einstiger Wegbegleiter des späteren „NSU“-Trios, hat am 250. Verhandlungstag im Prozess vor dem Münchner OLG als Zeuge ausgesagt. H. war seinerzeit einer der Fluchthelfer, als Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe im Januar 1998 in den Untergrund abtauchten, da die Polizei in einer von Zschäpe angemieteten Garage in Jena Sprengstoff und Rohrbomben gefunden hatte. Noch am Tag der Razzia holte der Zeuge unter anderem den aktuell im „NSU“-Prozess Mitangeklagten Ralf Wohlleben ab, so sagte er vor Gericht aus. Der Grund sei gewesen, dass man gemeinsam einige Habseligkeiten aus Beate Zschäpes Wohnung geholt habe, erklärte er. Außerdem sei er anschließend in Uwe Böhnhardts Auto unterwegs gewesen und hierbei von der Polizei angehalten worden. Hierbei habe er, so H. zum Vorsitzenden Richter Götzl, keine Angaben zum Aufenthalt von Böhnhardt oder zum Ablauf der Flucht des Trios gemacht.

Am Nachmittag diktierte Götzl den Anwälten von Beate Zschäpe einen längeren Katalog von Fragen, die die Hauptangeklagte bis zum Januar 2016 zu beantworten hat. Siehe hierzu auch diesen Bericht bei JEZT.

16.12. und 17.12.2015: Der 251. bis 252. Verhandlungstag

Der 251. und 252. Tag im „NSU“-Prozess war geprägt von der persönlichen Erklärung Ralf Wohllebens, die er – im Gegensatz zu der von Beate Zschäpe – selbst vortrug. An Tag 251 ging es jedoch erst einmal um Angaben zu seiner Person. Wohlleben beschrieb, dass seine Eltern früher sehr streng mit ihm waren. Als Jugendlicher habe er immer um 18.30 Uhr zu Hause sein müssen – sonst habe er Hausarrest erhalten . Zusammen mit ein paar Freunden, unter anderem auch dem späteren „NSU“-Mitglied Uwe Böhnhardt, entschloss er sich 1992 von zu Hause auszureißen. In Jena wartete laut Wohlleben eigentlich „immer schon die Polizei auf die Jugendlichen“. Er habe mit Uwe Böhnhardt zusammen „Autos geknackt und anderen Mist gemacht“.  Mit einem gestohlenen Fahrzeug seien beide bis nach Österreich gefahren, wo sie das Fahrzeug schließlich abstellen mussten, später von der Polizei aufgegriffen und nach Jena zurück geschickt wurden. Auf die Frage des Vorsitzenden Richters, ob er gesundheitliche Probleme habe, oder ob es Krankenhausaufenthalte bzw. Behandlungen gab, räumte Ralf Wohlleben „mal hier mal da einen Kieferbruch“ ein, was nicht unbedingt Merkmal für ein friedfertiges Dasein ist.

Interesanter war das, was Ralf Wohlleben am 252. Prozesstag aussagte, dem letzten Verhandlungstag im Jahre 2015. Der Tenor: Er habe Zschäpe und ihren Freunden Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zwar bei der Flucht geholfen. Aber er war keineswegs der große Koordinator, wie ihm das die Anklage vorwirft. Und auch was die Waffe betrifft, mit der Böhnhardt und Mundlos neun Migranten ermordeten, widerspricht Wohlleben den Ermittlern. Wohlleben bestritt dabei keineswegs, dass er Kenntnis davon hatte, dass die später als Mordwaffe genutzte Ceska-Pistole mit Schalldämpfer an Uwe Böhnhardt geliefert wurde. Doch habe er niemals damit gerechnet, dass die ehemaligen Freunde vorhatten, damit Menschen zu töten. Ralf Wohlleben sagte aus, er habe gedacht, Böhnhardt wollte nur deshalb eine scharfe Pistole haben, damit er sich notfalls selbst erschießen könne. So habe es Böhnhardt angeblich angekündigt für den Fall, dass er von der Polizei entdeckt würde. Wohlleben wörtlich: „Ich bin entsetzt, dass Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt kaltblütig Menschen ermordet haben. Ich kann es kaum glauben und habe kein Verständnis dafür.“

Der Terrorhelfer äußerte sich auch zum untergetauchten Trio und sagte: „Ich war mit ihnen befreundet und habe sie nur deshalb bei der Flucht unterstützt. Hätte ich gewusst, wie sie sich entwickeln, hätte ich ihnen nicht geholfen. Den Angehörigen der Opfer gilt mein Mitgefühl.“ Jedoch: Vom „NSU“ und dessen Verbrechen habe er angeblich bis zum Auffliegen der Täter im November 2011 nichts gewusst. Unerklärlich sei ihm, sagte Wohlleben, dass der Staat das Trio trotz der vielen Spitzel in der rechten Szene nicht gefunden habe. Mehrmals nennt er in seiner Erklärung den früheren V-Mann Tino Brandt, der für den Verfassungsschutz in Thüringen arbeitete, als diejenige Person, die nach der Flucht des Trios maßgeblich für Hilfe gesorgt hätte. Wohlleben behauptet, auch das Geld für die gelieferte Pistole mit dem Schalldämpfer habe womöglich Brandt bereitgestellt. Er jedenfalls, sagt Wohlleben über sich selbst, habe kein Geld dafür gehabt.

Der in München ebenfalls Mitangeklagte Carsten Sch#ltz# hatte zu Beginn des Prozesses erklärt, er sei damals im Falle der Ceska-Pistole im Auftrag Ralf Wohllebens als eine Art Kurier zu Mundlos und Böhnhardt unterwegs gewesen. Das bestritt Wohlleben vor Gericht vehement, gab lediglich zu, dass Böhnhardt ihn einmal darum gebeten habe, eine Waffe zu besorgen, jedoch – so der zeuge – „ein deutsches Fabrikat“. Wohlleben sagte zu dem aus, er persönlich kenne sich gar nicht aus mit Waffen und er habe auch nicht schuld am Suizid von Böhnhardt sein wollen. Deshalb sei die Aussage von Carsten Sch#ltz# „absurd“. Damit steht Aussage gegen Aussage.

12.01. und 13.01.2016: Der 253. und 254. Verhandlungstag

Im Grunde wartete man an Tag 253 im „NSU“-Prozess auf die Verlesung der Zschäpe-Antworten auf die Fragen des Strafsenats am Münchner OLG. Allerdings kam es nicht dazu, denn der Vorsitzende Richter Manfred Götzl ging nicht auf die Aussagen Zschäpes ein und gab bekannt, zuerst solle die Befragung des Mitangeklagten Ralf Wohlleben fortgesetzt werden. Das werde allerdings frühestens am 13.03.2016 sein, denn am aktuellen Gerichtstag des Strafsenats am OLG München zuerst Listen von Beweisstücken zu verlesen seien, damit diese als Beweismittel in den Prozess einfließen könnten. Hierzu gehörten dann u. a. Spurensicherungsberichte, Spurenverzeichnisse und Gutachten zur Verwertbarkeit von Spuren. Unter anderem kam dabei heraus, dass sich Fingerabdrücke Ralf Wohllebens auf einer sog. „Geburtstagszeitung“ für den in München nicht mit angeklagten rechten Helfer des „Thüringer Heimatbundes“, Andre Kapke, befanden. Kapke war zudem bis zum Abtauchen des „NSU“-Trios mit diesen gemeinsam in der damaligen „Kameradschaft Jena“ aktiv, der auch Wohlleben, Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe sowie der ebenfalls in München angeklagte Holger Gerlach angehörten. Wohllebens Verteidiger Olaf Klemke beanstandete jedoch das Fingerabdruck-Gutachten, da dieses seiner Meinung nach keinerlei Beweiswert habe.

Am 254. Verhandlungstag am Oberlandesgericht München kam es dann zur direkten Befragung der Strafkammer zu den Aussagen Ralf Wohllebens, der zuvor mehr als zweieinhalb Jahre lang geschwiegen hatte. Und Richter Götzl hatte reichlich Fragen zu Wohllebens Angaben vom Dezember 2015. Detail auf Detail wurde hinterfragt und damit dürfte auch so schnell nicht Schluss ein, denn auch Verteidiger von Mitangeklagten und die Bundesanwaltschaft sowie die vielen Nebenklage-Anwälte haben eigene Rückfragen an Wohlleben. Wohlleben beharrte jedoch auf seiner Version der Geschichte zur Ceska-Pistole, an deren Beschaffung  er nicht beteiligt gewesen sei, so die Darstellung Wohllebens. Anfang 1999 habe ihn Böhnhardt bei einem Treffen in Chemnitz gebeten, eine scharfe Waffe zu besorgen, sagte Wohlleben aus. und fügte an „Für mich war klar, dass ich mich nicht an der Beschaffung einer scharfen Waffe beteiligen möchte.“

Götzl fragte hierauf nach, welchen Zusammenhang es mit Carsten Sch#ltz#s Waffenlieferung an den „NSU“ geben würde, bei dem er, Wohlleben eine Rolle spiele.  Wohlleben erklärte hierzu, dass Sch#ltze eines Tages auf ihn zugekommen sei und erklärt habe, „dass er den Auftrag hat, eine Waffe zu besorgen“. Ähnlich spricht er dann auch über die Pistole, die Holger Gerlach nach Zwickau überbracht habe. So will Wohlleben offensichtlich, die ihn belastenden Aussagen von Sch#ltz# und Gerlach auf die Mitangeklagten zurückschieben. Er räumte allerdings ein, von den Waffen erfahren zu haben, bei der Beschaffung sei er allerdings nur „Randfigur“ gewesen, so Wohlleben. Dies verwundert insofern, als dass Wohlleben gegenüber Manfred Götzl auffallend viel über seine Kontakte zu den drei Untergetauchten berichtete; jedoch niemals im Bezug auf die vom „NSU“ benutzten Waffen.

Ins Wackeln kam Wohllebens Taktik und seine Version der Dinge kurzzeitig, als Götzl in befragte, weshalb ihn Carsten Sch#ltz# sogar zuhause besuchte, um ihm die Waffe zu zeigen. Und, was Götzl noch mehr verwunderte: weshalb hat Wohlleben, der sich nach eigenem Bekunden mit Waffen nicht auskennt, den Schalldämpfer auf die scharfe Waffe geschraubt? Die sei, so Ralf Wohlleben, „aus der Überraschung heraus“ geschehen, weil er einfach mal sehen wollte, „wie das aussieht“. Nochmals bohrte Richter Götzl nach: Carsten Sch#ltz# habe ausgesagt, dass Wohlleben Lederhandschuhe angezogen hatte, als dieser den Schalldämpfer aufgeschraubt und die Waffe lachend auf Sch#ltz# gerichtet habe; Wohlleben hatte zuvor angegeben, „ich habe mir die Waffe nicht näher angeguckt, ich hätte damit eh nichts anfangen können„. Ralf Wohllebens antwortete hierauf, dass er sich daran „beim besten Willen“ nicht mehr erinnern könne – eine Antwort, die umso häufiger kam, wie der Tag andauerte.

Glaubwürdiger wirkte Wohlleben beim Thema seiner Gesinnung. Hierbei machte der ehemalige NPD-Vize von Thüringen keinen Hehl daraus, dass er damals wie heute noch stramm rechts eingestellt ist. Auf eine Frage Götzls zu seiner Einstellung zur „NS-Zeit“ erklärte Ralf Wohlleben, er sei der Meinung, „dass die Aufarbeitung relativ einseitig verläuft“. Es werde stets nur geschaut, „welche Schuld der Deutsche trägt“, aber wenn es zum Beispiel um die Bombardierung Dresdens im Februar 1945 gehe, „da werden die Opferzahlen herruntergelogen, von einer sechsstelligen Zahl auf eine fünfstellige“. Damit bediente sich Wohlleben den Argumentationen der rechtsnationalen Szene in Deutschland.

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