Der 272. bis 277. Verhandlungstag im Münchner „NSU“-Prozess

25.04.16 • JEZT AKTUELL, NEWSCONTAINER, STARTKeine Kommentare zu Der 272. bis 277. Verhandlungstag im Münchner „NSU“-Prozess

JEZT - Inside NSU - Symbolbild © MediaPool Jena 2015

Zusammengefasst und kommentiert aus Pressemeldungen:

05.04./06.04./12.04.2016: Der 272. bis 274. Verhandlungstag

An Verhandlungstag 272. im Prozess geht es u. a. um ein T-Shirt, das Ermittler Ende 2011 nach einer Hausdurchsuchung auf Ralf Wohllebens Bett in seiner Jenaer Wohnung gefunden hatten. „Eisenbahnromantik“ ist darauf zu lesen, darunter ein Bild, das Schienen zeigt, die zum Konzentrationslager Auschwitz führen. Wohlleben, wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen angeklagt, und seine Verteidiger sind im Münchener Prozess bemüht, von sich das Bild eines harmlosen, heimatverbundenen Pazifisten zu zeichnen. Ein T-Shirt mit einem Aufdruck des Vernichtungslagers Auschwitz passt da weniger in die Verteidigungsstrategie.

Eine Polizistin sollte vor Gericht von diesem T-Shirt berichten, Wohllebens Verteidigung jedoch verhinderte dies mit dem Einwand, dass Fotos von dem T-Shirt nicht in den Akten zu finden gewesen seien. Anwältin Nicole Schneiders argumentierte: Weil hier Akten zurückgehalten worden seien, müsse die Verhandlung gegen ihren Mandanten ausgesetzt und das Verfahren gegen ihn abgetrennt werden. Zugleich sei „wieder einmal eine Voreingenommenheit gegen Herrn Wohlleben“ zu erkennen, das Gericht mithin befangen.

Es sind zehn Fragen, die der Vorsitzende Richter Manfred Götzl am 273. Verhandlungstage im „NSU“-Prozess der Hauptangeklagten Beate Zschäpe stellte. Es geht vor allem um den Mitangeklagten Holger Gerlach. Der 41-Jährige hat bereits gestanden, Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt mit falschen Dokumenten geholfen und den mutmaßlichen Rechtsterroristen eine Waffe geliefert zu haben. Auch das Wohnmobil, in dem Mundlos und Böhnhardt am 4. November 2011 in Eisenach starben, wurde unter seinem Namen angemietet. So fragte Götzl: „Wie verlief der Kontakt von Ihnen und/oder von Seiten Böhnhardts und Mundlos‘ zu Holger Gerlach nach Ihrem Untertauchen bis zu Ihrer Festnahme?“ und fügte an: „Hat Holger Gerlach von Ihrer Seite oder von Seiten Böhnhardts oder Mundlos‘ Informationen über die Taten bekommen?“

Zschäpes  Verteidiger Mathias Grasel schrieb alles für die Hauptangeklagte mit. Nächste Frage: „Woher stammten die 10.000 DM, die Sie in der Einlassung vom 16. März 2016 erwähnt haben und die Uwe Böhnhardt demnach an Herrn Gerlach übergeben hat? Was hat Holger Gerlach über die Herkunft des Geldes gewusst?“ Und der Vorsitzende Richter ist noch nicht am Ende mit seinen ‚Gerlach-Fragen‘: „Fuhren Sie oder Mundlos oder Böhnhardt nach dem Untertauchen 1998 nach Hannover zu Holger Gerlach? Gab es sonstige Treffen mit ihm? Was war gegebenenfalls der Zweck derartiger Treffen?“

Andere Fragen an die Hauptangeklagte gab es am 274. Verhandlungstag und eine Frage hatte es in sich: „Könnten Sie bitte die in der Wette verwendeten Begriffe ‚Killer‘ und ‚Cleaner‘ erläutern?“ Obwohl Götzl nichts weiter hierzu anfügt ist Zschäpe und ihren Verteidigern sofort klar, was er damit gemeint hat: Es geht um eine Wette zwischen Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe, in der es um das Themas Abnehmen ging. Auf einer DVD, die im Brandschutt der Wohnung an der Zwickauer Frühlingsstraße lag, fanden sich Fotos, die Böhnhardt und Zschäpe zeigen. Sie wetteten, bis zum einem bestimmten Datum ein bestimmtes Gewicht zu erreichen. Der Verlierer sollte laut dem Wettvertrag „200 mal Videoclips schneiden“. In einem Begleittext dazu heißt es: „Killer setzt auf die Liese“, „Cleaner setzt auf die Liese“, „Liese setzt auf ihr Durchsetzungsvermögen: gegen Killer, gegen Cleaner“. – Dass es sich bei „Liese“ um Beate Zschäpe handelt, steht außer Frage, denn das war im Untergrund ihr Spitzname. Bei „Cleaner“ (so die Annahme der Beundesanwaltschaft) soll es sich um Böhnhardt, bei „Killer“ um Mundlos handeln.

Zschäpe hatte sich in ihrer Einlassung vom letzten Jahr bereits zum Thema „Videoclips schneiden“ geäußert und angegeben, dies hätte „nichts mit dem Video zu tun, dass Böhnhardt und Mundlos gemacht hatten“. Der Wettverlierer sollte aufgenommene Fersehserien wie etwa Dr. House „von Werbung befreien“, denn sie und ihre beiden Freunde hätten sich an der Werbung gestört, die sie deswegen aus den Aufnahmen gelöscht hätten. Das „NSU“-Bekennervideo will Beate Zschäpe erstmals in der Hauptverhandlung gesehen haben, wie sie erklärte. Wenn Zschäpe, wie sie selbst ausgesagt hat, von den Morden wusste, sie aber nicht gebilligt hatte, könnte die tatsache, dass sie den Namen „Killer“ als Spitznamen bei einer Wette, die sie selbst gewinnen wollte, akzeptierte, dafür sprechen, dass sie – anders als behauptet – die Taten nicht vollständig widerlich fand.

Mit einer wichtigen letzten Frage beendet Richter Götzl an 274. Tag vor dem Münchner OLG: „Was haben Sie am 4. November 2011 gewogen?“ Es geht um Zschäpes Alkoholkonsum. Sie hatte angegeben, an jenem Tag, an dem sich Böhnhardt und Mundlos erschossen und Zschäpe die Wohnung in Zwickau in Brand setzte, eine Flasche Sekt getrunken zu haben. Sie habe auch am Vortag mehrere Flaschen getrunken. Götzl will nun offenbar Anhaltspunkte für die Berechnung einer möglichen Blutalkoholkonzentration erfragen. Dafür braucht er ihr Gewicht.

Was noch an diesem Verhandlungstag wichtig war: Das OLG München verwarf den jüngsten Antrag der Wohlleben-Anwälte, da es Hinweise auf die T-Shirt-Fotos mit Angabe der Gerichtsdatenbanken in den Akten gibt, worauf Wohllebens Anwälte daraufhin einmal mehr unterstellten, die Richter führten kein faires Verfahren gegen ihren Mandanten. Den Vorwurf, die erwähnten Hinweise auf die Fotos des T-Shirts seien in den Akten „irgendwo versteckt“ worden, wies Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten von sich. Weingarten: „Es ist nicht die Aufgabe des Senats, die Verteidigung zu den Beweisstücken zu tragen.“ Die Verteidigung hätte jederzeit die Fotodateien bei Gericht ansehen können. Richter Götzl ließ jedoch für die Verteidigung Kopien der vermissten Fotos anfertigen, beendet den Verhandlungstag und strich die Verhandlung am 275. Tag um der Verteidigung genügend Zeit einräumen, die Fotos zu betrachten.

19.04./20.04.2016: Der 276. bis 277. Verhandlungstag

Aus ihrer Sicht „umfassen“ ausgesagt durch schriftliche Erklärung hatte Beate Zschäpe bereits im Dezember vergangenen Jahres. Doch ihre Einlassungen waren damit noch nicht beendet, denn sie reifen eine Vielzahl von Nach- und Rückfragen der Strafkammer hervor. Zum vierten Mal stellte Richter Manfred Götzl der Angeklagten am 276. Verhandlungstag neue Fragen gestellt, die ihr Anwalt Mathias Grasel – wünschenwert noch im April 2016 – durch Verlesen beantworten soll. Wesentliche andere Aspekte im Prozess gibt es zu diesem Zeitpunkt nicht mehr und man spürt, dass die Beweisaufnahme ihrem Ende entgegen gehen könnte. Trotzdem sorgte eine Erkärung der Gerichtssprecherin an Tag 276. für Aufsehen, dass man, „vorsorglich“, wie sie versicherte, nun „bis in den Januar 2017 terminiert“ habe, um allen Eventualitäten vorzusorgen.

Was die Fragen anbetrifft, so ging es darin teilweise um Zschäpes Pläne, sich der Polizei zu stellen. Götzl wollte u. a. erfahren, ob die beiden Uwes wussten, dass Zschäpe dafür sogar Kontakt mit einem Anwalt aufnahm, wie sie angegeben hatte. Weitere Fragen betrafen die Lagerung der Geldbündel-Beute aus den Raubüberfällen. Außerdem erkundigt sich der Vorsitzende Richter nach dem Verhältnis Zschäpes zu den Mitangeklagten Holger Gerlach und Ralf Wohlleben.

Im Münchner „NSU“-Prozess spielte am 277. Tag die ARD-TV-Dokumentation „Der NSU-Komplex“, an der u.a. der Journalist Stefan Aust mitgearbeitet hatte, eine bedeutende Rolle. So warfen Anwälte der Nebenklage der Bundesanwaltschaft vor, Informationen zurückzuhalten und die Aufklärung der rechtsextremen Terrorverbrechen zu blockieren. Bundesanwalt Herbert Diemer wies diesen Vorwurf „auf das Schärfste“ zurück. Die Nebenkläger verlangten daraufhin, den früheren V-Mann Ralf M. aus Sachsen, Deckname „Primus“, als Zeugen zu laden, denn „Primus“ soll, so die ARD-Doku, dem inzwischen toten Terroristen Uwe Mundlos und Beate Zschäpe zu Beginn der 2000er Jahre Jobs gegeben haben.

Die Bundesanwaltschaft beantragte dagegen, die Beweisanträge der Nebenkläger abzulehnen, denn diese seien für die Beurteilung der Schuld der Angeklagten ohne Bedeutung. Allerings hatten Aust und die Zeitung „Welt“ vermutet, die Bundesanwaltschaft hatte offenbar in der Tat Ermittlungsergebnisse zum V-Mann „Primus“ zurück, denn unter anderem hatte ein früherer Mitarbeiter der Firma „Marschner Bau-Service“ von Ralf. M. in dem TV-Bericht auf Fotos nicht nur Mundlos als zeitweiligen Vorarbeiter der Firma bezeichnet. Es lägen auch persönliche Erklärungen von weiteren ehemaligen Marschner-Mitarbeitern vor, so die „Welt“, wonach Mundlos und kurzzeitig sogar Beate Zschäpe für die Firma gearbeitet haben sollen. Diese Erklärungen halte die Bundesanwaltschaft, nach der Meinung von Stefan Aust, seit Jahren unter Verschluss.

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