„Schlappe für KRAFTWERK“: Moses Pelham erringt vor dem Bundesverfassungsgericht einen Etappensieg im Samplingstreit

31.05.16 • INTERESSANTES, JEZT AKTUELL, KULTUR & BILDUNG, NEWSCONTAINER, STARTKeine Kommentare zu „Schlappe für KRAFTWERK“: Moses Pelham erringt vor dem Bundesverfassungsgericht einen Etappensieg im Samplingstreit

JEZT - Moses Pelham - Foto © 3P PelhamPowerProductions

Radio Jena Newscontainer Logo 230Es war eine Frage der Musik-Kunst, die das Bundesverfassungsgericht beschäftigte und in der es heute zur Entscheidung kam. Rechtlich zu beantworten war die Frage: Dürfen Komponisten oder Musiker sekundenkurze Teile aus fremden Tonaufnahmen übernehmen, ohne den Urheber um Erlaubnis zu fragen? Seit mehr als einem Jahrzehnt stritten sich um diese Frage der Düsseldorfer Chef der Elektromusikgruppe Kraftwerk, Ralf Hütter, und der Frankfurter Musiker und Produzent Moses Pelham (Foto). Zuerst vor den ordentlichen Gerichten und nun vor dem höchsten Deutschen Gericht. Und hier errang Pelham einen Etappensieg, der richtungsweisend für die Musikbranche sein kann. Wie die Karlsruher Richter verkündeten, hatte Pelhams Verfassungsbeschwerde Erfolg und der Fall muss neu entschieden werden.

Bei dem Streit geht es um einen etwa zweisekündigen Teil des Musikstücks „Metall auf Metall“ , den die Elektropop-Pioniere von Kraftwerk im Jahr 1977 veröffentlicht hatten. Etwa zwei Jahrzehnte später produziert Moses Pelham gemeinsam mit seinem Kompagnon Thomas Hofmann einen Song für die Sängerin Sabrina Setlur mit dem Titel „Nur mir“ und für diesen Song übernahm bzw. sampelte (so der Fachbegriff) Pelham eine zwei Sekunden lange Rhythmussequenz aus dem Kraftwerk-Song und kopierte sie als Loop in fortlaufender Wiederholung in Setlurs Lied. Um Erlaubnis hatte Pelham nicht gefragt, weshalb Kraftwerk auf Unterlassung und Schadensersatz klagten. Unterstützt wurde Pelham dabei von vielen Vertretern der HipHop-Szene, in der das Sampling Teil der Kunstfreiheit des Genres darstellt. Kraftwerk berief sich dagegen auf das Recht als Urheber der Originalaufnahmen, mithin also das geistige Eigentum an den zwei Sekunden.

Nicht nur ein Mal sonders sogar wiederholt ging der Streit durch alle Instanzen bis zum Bundesgerichtshof. Dort hatte Kraftwerk 2012 erreicht, dass „Nur mir“ zukünftig weder als Tonträger noch als Download vertrieben werden darf. Dagegen legte Pelham eine Verfassungsbeschwerde ein, der sich schnell auch andere Musiker anschlossen – Begründung: die Verwendung fremder Beats in neuem musikalischem Kontext sei eine eigene künstlerische Leistung, die auch ohne Genehmigung möglich bleiben muss.

JEZT - Das retrosound.ive Logo - Abbildung © MediaPool Jena

Diese Verfassungsbeschwerde hatte nun Erfolg und der Bundesgerichtshof muss den Fall nun noch einmal bewerten. Seine Urteile trügen der Kunstfreiheit nicht hinreichend Rechnung, sagte der Vize-Gerichtspräsident der Bundesverfassungsgerichts, Ferdinand Kirchhof, und begründete die getroffene Entscheidung vor allem mit der Kürze der Sequenz. Aus den zwei Sekunden sei ein neues, eigenständiges Kunstwerk entstanden, das Kraftwerk nicht in deren Rechten beeinträchtige und somit keinen wirtschaftlichen Schaden verursache. Ein Verbot würde nach den Worten Kirchofs „die Schaffung von Musikstücken einer bestimmten Stilrichtung praktisch ausschließen“.

Durch die Entscheidung dürfte es Musikern zukünftig leichter sein, sich ungefragt in fremden Werken zu bedienen. Die BGH-Richter hatten zuvor entschieden, dass ein fremder Beat nur dann gesampelt werden dürfe, wenn er nicht gleichwertig nachgespielt werden kann. Dieses Kriterium sei, so die Verfassungsrichter „ungeeignet“, weshalb das Sampling von zwei Sekunden zulässig sein könne. Für die Benutzung müsse auch nicht unbedingt Geld fließen, solange „der Gesetzgeber keine Bezahlpflicht“ einführe, was er jederzeit machen könnte, so die Karlsruher Richter. Nach dem Willen des Bundesverfassungsgerichts soll der Fall zudem exemplarisch dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt werden, da das Urheberrecht seit 2002 EU-weit harmonisiert sei. Der Frankfurter Musikproduzent erklärte nach der Verkündung erleichtert: „Ich glaube, dass es für die Fortentwicklung der Kunst ein sehr wichtiges Urteil ist.“





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