In München geht der „NSU“-Prozess zu Ende: Die Verhandlungstage 04.04. bis 11.05.2017

15.05.17 • INTERESSANTES, JEZT AKTUELL, NEWSCONTAINER, RADIO JENA, START, UNSER JENAKeine Kommentare zu In München geht der „NSU“-Prozess zu Ende: Die Verhandlungstage 04.04. bis 11.05.2017

JEZT - Inside NSU - Symbolbild © MediaPool Jena 2015

Zusammengefasst und kommentiert aus Pressemeldungen:

HINWEIS: Wir haben uns der aktuellen Zählweise des OLG München zu den Verhandlungstagen angepasst und die mittlerweile 15 ausgefallenen Tage, welche bisher von uns mitgezählt wurden, abgezogen. Damit ist bei uns der bis dato 361. Verhandlungstag am 04.04.2017 in der neuen Zählung nun der 346. (II) Verhandlungstag. Wir bitten um Ihr Verständnis!

04.04./05.04./06.04.2017: Der 346. (II) bis 348. (II) Verhandlungstag

Es scheint so, als seien im „NSU“-Prozess inzwischen alle Zeugen angehört und deren Aussagen „abgearbeitet“. Das bedeutet aber nicht, dass der Prozess schon bald zu Ende gehen wird, denn im Gerichtssaal in München wird seit Verhandlungstag 346 (II) nahezu ohne Unterlass und heftig gestritten, teilweise sogar gebrüllt. der Vorsitzende Richter Manfred Götzl musste mehrfach und mühevoll den Frieden in seinem Saal wiederherstellen. Um was geht es im Kern? Es ist die Frage: Ist die Hauptangeklagte Beate Zschäpe schuldfähig oder ist sie psychisch gestört? Der Gutachter der Bundesanwaltschaft, Professor Henning Saß, hatte die volle Schulfähigkeit Zschäpes festgestellt und bei einer möglichen Verurteilung dem Gericht sogar die anschließende Sicherheitsverwahrung empfohlen. In diesem Zusammenhang die Verteidigung der Hauptangeklagten einen eigenen Experten engagiert, der nach Aussage der Verteidiger schwere Fehler im Saß-Gutachten über Beate Zschäpe entdeckt haben will.

Am 348. (II) Verhandlungstag entschied das Gericht, den Bochumer Neurologen und Psychiater Pedro Faustmann anzuhören. jedoch nicht als Gutachter sondern als Zeugen. Das wiederum missfiel der Verteidigung Zschäpes, die in einem umfangreichen Antrag gefordert hatte, Faustmann als Sachverständigen anzuhören. Indes blieb das Gericht bei seiner Entscheidung.

25.04./26.04./27.04.2017: Der 349. (II) bis 351. (II) Verhandlungstag

Noch vor dem Beginn dieser Verhandlungswoche hatten die Zschäpe-Verteidiger gegenüber der Presse erklärt, um was es ihnen gehe und zwar um die Frage, welche Bedeutung die für Zschäpe sehr negative Bewertung durch Prof. Saß im Urteil bekommen werden. Und sie machten klar, dass sie hier keinesfalls zurückstecken werden. Dagegen wehrte sich am 349. (II) Verhandlungstag die Bundesanwaltschaft: Es gebe keinen Anlass, an der Kompetenz des erfahrenen Psychiaters Saß zu zweifeln, erklärte Oberstaatsanwältin Anette Greger. Streit entbrannte an diesem Tag vor Gericht nicht um die Sache an sich, sondern auch darum, dass die Staatsanwälte den Zschäpe-Anwälten keine Abschrift ihrer Stellungnahme übergeben wollten. „Grob unfair“, nannte das Verteidiger Wolfgang Heer und Bundesanwalt Herbert Diemer antwortete ihm mit dem Wort „Schikane, worauf in der Folge alle durcheinander riefen.

An Tag 350 (II) wurde Psychiater Faustmann als Sachverständigen in den Zeugenstand gerufen und von Richter Götzl befragt. Der 57-Jährige ist Facharzt für Nervenheilkunde und Neurologie, mit Qualifikation für forensische Psychiatrie. 2.500 Gutachten hat er nach eigenen Angaben im Laufe seiner Karriere geschrieben. Die Methodenkritik an der Einschätzung seines Berufskollegen Saß ist 41 Seiten lang. Faustmann sagte dem Gericht, er habe das ursprüngliche Gutachten von Prof. Henning Saß sorgfältig analysiert, im Hinterkopf die Frage, ob Saß mit unsauberen Methoden zu seinem Schluss gekommen ist. Denn darin liege nach seinen Worten das Problem aller psychiatrischen Analysen.

Auf Nachfrage von Manfred Götzl erklärte Faustmann, dass Saß seiner Ansicht nach einen grundlegenden Fehler gemacht habe: der vom Gericht bestellte Psychiater habe Frau Zschäpe zwar als psychisch gesund erkannt, ihre Persönlichkeit aber nach den Maßstäben für Menschen mit psychischer Krankheit oder abnormen Wesenszügen beurteilt. Faustmanns Begründung: Saß beziehe sich in seinem Gutachten auf die sogenannten Mindestanforderungen für Schuldfähigkeitsgutachten, die vor gut einem Jahrzehnt von einer vierköpfigen Arbeitsgruppe am Bundesgerichtshof erarbeitet wurden. Einer der vier war Saß selbst – er sollte also wissen, nach welchen Methoden die Persönlichkeit Zschäpes zu untersuchen war. Faustmann bemängelt dennoch, dass der Kollege an vielen Stellen die „Operationalisierung“ vermissen lasse, also seine Diagnosekriterien nicht ausreichend deutlich gemacht habe. Allerdings hatte Faustmann seinem Kollegen Saß auch in einigen Punkten zugestimmt – u.a. auch in dem zentralen Punkt, dass Zschäpe keine Hinweise auf psychische Störungen zeige. „Auf der Basis der mitgeteilten Inhalte ist dieser psychiatrisch wertenden Einschätzung zu folgen“, erklärte der Bochumer Experte.

Damit wiederum scheinen Zschäpes Neu-Anwälte an Tag 351 (II) nicht einverstanden zu sein. Sie wollen als Zeugen den Freiburger Professor Joachim Bauer aufrufen lassen, ebenfalls Psychiater, denn dieser habe Beate Zschäpe in der Untersuchungshaft besucht und befragt. Mathias Grasel und Hermann Borchert zufolge komme Bauer zu dem Ergebnis, dass die Hauptangeklagte im „NSU“-Prozess an einer abhängigen Persönlichkeitsstörung. Entscheiden, ob Bauer aufgrufen wird, hatte das OLG München in dieser Verhandlungswoche noch nicht: die Entscheidung fiel erst am letzten April Wochenende mit dem Ergebnis, dass der gerade emeritierte Professor des Freiburger Universitätsklinikums vor Gericht sprechen darf.

03.05./04.05.2017: Der 352. (II) und 353. (II) Verhandlungstag

Siebenmal hat Bauer die Hauptangeklagte des „NSU“-Prozesses in der Untersuchungshaft getroffen, wie er am 352. (II) Verhandlungstag ausführte. In dem Gutachten Bauers, aus welchem er auch zitierte, heißt es, die Angeklagte leide an einer sog. „dependenten Persönlichkeitsstörung“ gemäß § 21 StGB, deren Betroffene sich krankhaft von anderen Menschen abhängig machen – in diesem Fall von Böhnhardt und Mundlos. Zudem sah Bauer für eine Einweisung in die Sicherungsverwahrung keinerlei Anlass.Schnell wurde klar, dass Bauers 57-seitige Expertise der Gegenentwurf zu dem von den OLG-Richtern bestellten Gutachten, verfasst von dem Aachener Psychiater Henning Saß ist. Einem persönlichen Gespräch mit diesem hatte sich Zschäpe stets verweigert.

Das Fehlen dieser sogenannten Exploration haben Zschäpes Neu-Anwälte Mathias Grasel und Hermann Borchert als Makel gesehen. und in ihrem Sinne zeichnete der von ihnen beauftragten Sachverständigen das Bild einer harmoniesüchtigen, einsamen Frau, die schon als Säugling vernachlässigt worden war und kein Vertrauen zu ihrer alkoholsüchtigen Mutter fand. „Ich möchte immer in Harmonie leben“, habe Zschäpe ihm erzählt. So habe sie sich den Rechtsextremismus damals zu eigen gemacht, weil er „Zeitgeist“ gewesen sei. Auch eine Aussage, die Zschäpes Mutter Annerose Apel 2011 bei der Polizei gemacht hatte, diente Professor Bauer als Quelle für die Jugendzeit der Angeklagten.

Dem psychiatrischen Porträt Bauers stehen allerdings die Aussagen von Verwandten, früheren Wegbegleitern und späteren Bekannten des Trios entgegen. Diese lieferten durchweg Beschreibungen von Zschäpe als selbstständiger, teils sogar dominanter Frau. Im Urlaub soll sie die Kasse verwaltet haben und Böhnhardt und Mundlos gewissermaßen Taschengeld ausgezahlt haben, für Nachbarn war sie die „Außenministerin der Dreier-WG“. Diese Aussagen bekam Bauer jedoch auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters Mnfred Götzl nicht zu sehen – offensichtlich hatten ihm Zschäpes Anwälte nur eine kleine Auswahl an Einlassungen vorgelegt. Insofern fragte Götzl auch nach, wie es sich damit verhält, dass Zschäpe nach dem Tod ihrer Peiniger Böhnhardt und Mundlos noch deren letzte Wünsche erfüllte, indem sie die gemeinsame Wohnung in Zwickau anzündete und die Bekennervideos des „NSU“ verschickte. Ja, sagte Professor Bauer, das mute in der Tat etwas seltsam an.

Am Ende des 353. (II) Verhandlungstagen richtete Richter Manfred Götzl das Wort noch einmal an Bauer: Ob ihn die Verteidiger Borchert und Grasel nicht darauf hingewiesen hätten, dass Beate Zschäpes Mutter vor Gericht sich dagegen geweht habe, ihre frühere Aussage bei der Polizei als Gerichts-Beweis zu verwerten? Nein, antwortet Bauer, davon wisse er nichts. Und damit hat sein Gutachten ein prinzipielles Problem: Was vom Gericht nicht verwertet werden darf, hat nach der Rechtsordnung auch keinen Platz in Gutachten zu finden.

10.05./11.05.2017: Der 354. (II) und 355. (II) Verhandlungstag

Am Samstag den 6. Juni 2017 jährte sich der Beginn des „NSU“-Prozesses vor dem 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts München statt, der auch als Staatsschutzsenat bezeichnet wird, wieder einmal. In den vergangen vier Jahren hat das Gericht nicht nur harte Beweise für sein Urteil gesammelt, sondern auch tiefe Einblicke in die rechtsradikale Subkultur gewonnen, in der sich das „NSU“-Trio bewegte – auch während der Zeit im Untergrund. Fast 14 Jahre hatten Beate Zschäpe und die beiden am 4. November 2011 ums Leben gekommenen Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos ihr Untergrundleben durchgehalten.

An den Prozesstagen 354 (II) und 355 (II) erläuterten Zschäpes Neuverteidiger Grasel und Borchert weshalb bei ihrer Mandantin eine verminderte Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB feststellen sei. Was als Entlastung gedacht war, könnte aber tatsächlich zu ihrer weiteren Selbst-Belastung führen. Denn auch eine verminderte Schuld setzt im Grundsatz Schuld voraus. Die Hauptangeklagte hat mit der Erklärung Bauers faktisch zum zweiten Mal, nach ihrer Einlassung vor Gericht im Dezember 2015, eine Mitschuld an den zehn Morden, zwei Sprengstoffanschlägen und 15 Raubüberfällen eingeräumt.

—————————————————————————————

MEHR INFORMATIONEN ERHÄLT MAN IN DER

JEZT - RADIO LOTTE Mediathek ... klick!





Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

« »


JENAhoch2 | Omnichannel-Media für Stadt und Region