In München geht der „NSU“-Prozess zu Ende: Die Verhandlungstage 16.05. bis 01.06.2017

26.06.17 • INTERESSANTES, JEZT AKTUELL, NEWSCONTAINER, START, UNSER JENAKeine Kommentare zu In München geht der „NSU“-Prozess zu Ende: Die Verhandlungstage 16.05. bis 01.06.2017

JEZT - Inside NSU - Symbolbild © MediaPool Jena 2015

Zusammengefasst und kommentiert aus Pressemeldungen:

HINWEIS: Wir hatten uns im letzten Beitrag der neuen Zählweise des OLG München zu den Verhandlungstagen angepasst und die ausgefallenen Tage, welche bisher von uns mitgezählt wurden, abgezogen. Weiter geht es in diesemArtikel mit dem regulären Tag 361; alle doppelt nummerierten Tage vor diesem sind von uns nun mit dem Zusatz (II) gekennzeichnet.

16.05./17.05./18.05.2017: Der 356. (II) bis 358. (II) Verhandlungstag

Was sich im Gerichtssaal A 101 des Münchner Justizzentrums am 356. (II) Prozesstag zwischen den verschiedenen Gutachtern zur Hauptangeklagten Beate Zschäpe entspann, war kein kurzweiliger Austausch von Haken und Hieben, sondern ein zähes Gehirnjogging über gedankliche Hürden in fremdwortgespicktem Terrain. Von „kategorialen Kriterien“ war da die Rede, in denen „keine Grenzbereiche“ gölten, von „zu starker Subjektivierung von Begriffen“, durch die Überprüfbarkeit fehle und vom „Mangel an Operationalisierung“, die Gutachter Pedro Faustmann als Hauptkritikpunkt an Prof. Henning Saß‘ Zschäpe-Gutachten ausmacht. Durch sie leide die „Reliabilität“, zu deutsch schlicht Verlässlichkeit.

Im Wesentlichen warf Gutachten-Begutachter Faustmann Saß angebliches Unterlassen vor, bestimmte Fachbegriffe aus seinem Gutachten in ihrer Bedeutung einzugrenzen. Immerhin gebe es verschiedene Definitionen. Allein der Verweis auf eine bestimmte Quelle in der Literatur reiche nicht aus. Daraus ergäben sich „erhebliche Einschränkungen“.

Überhaupt sei seine Aufgabe nicht, so Faustmann, Beate Zschäpe einzuschätzen, sondern nur die Arbeit des vom Gericht bestellten Gutachters Saß. Die alternative Einschätzung zu Zschäpes Person obliegt dem von ihrer Verteidigung bestellten emeritierten Freiburger Professor Joachim Bauer. Anders als Saß, gewährte Zschäpe diesem mehrere Gesprächssitzungen. Bauer wiederum glaubt, bei ihr eine „dependente Persönlichkeitsstörung“ ausmachen zu können, die dafür gesorgt habe, dass Zschäpe dem verstorbenen Uwe Böhnhardt willenlos ergeben war. Nur widerspricht diese Selbstdarstellung Zschäpes einer Vielzahl von Zeugenaussagen, die die Hauptangeklagte als eine Frau schilderten, die ihre Männer „im Griff“ hatte.

Die Mutter der mutmaßlichen Rechtsterroristin Beate Zschäpe hat die Verlesung einer Aussage im NSU-Prozess erlaubt, die sie 2011 kurz nach der Festnahme ihrer Tochter beim Bundeskriminalamt (BKA) gemacht hatte. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl verlas am 357. (II) Prozesstag ein entsprechendes Schreiben der Mutter, in dem sie ihr Einverständnis erklärt. Gleichzeitig bat sie jedoch darum, nicht persönlich vor dem Oberlandesgericht München vernommen zu werden. Rückblick: Annerose Zschäpes Auftritt im „NSU-Prozess“ Ende November 2013 dauerte nur wenige Minuten und hatte eine deutliche Botschaft: Über die Vorwürfe gegen ihre Tochter Beate wollte die Mutter ebenso wenig sprechen wie über ihr Verhältnis zu ihr. Die 61-Jährige berief sich dabei auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht und widersprach seinerzeit auch der Verwertung der Protokolle, die während ihrer Vernehmung im November 2011 beim Bundeskriminalamt angefertigt wurden. Dann verließ Annerose Zschäpe, begleitet von ihrem Anwalt, Saal 101 des Münchner Oberlandesgerichts.

Jetzt entschied das Gericht an tag 358. (II) jedoch, dass die studierte Zahnärztin am kommenden Verhandlungstag erneut vor Gericht erscheinen muss, da Gutachter Joachim Bauer ihrer Tochter im Tatzeitraum der „NSU“-Verbrechen eine schwere abhängige Persönlichkeitsstörung attestiert hatte. Hierzu soll sie nun gehört werden.

23.05. und 24.05.2017: Der 359. (II) und 360. (II) Verhandlungstag

Am 359. (II) Verhandlungstag trat Annerose Zschäpe, die Mutter der Hauptangeklagten im „NSU“-Prozess, nochmals vor das Oberlandesgericht und wollte dieses Mal aussagen. Ihre Tochter Beate sitzt rund zwei Meter von ihr entfernt auf der Anklagebank und wird beschuldigt der Mittäterschaft beim zehnfachen Mord, den Verbrechen der rechtsterroristischen Gruppe „NSU“. Ohne Regung schaut die Angeklagte zur Mutter herüber, die wiederum schaut auf den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl. Der fragt nach den persönlichen Daten: Frau Zschäpe sagt, sie sei 64 Jahre alt, wohnhaft in Jena-Nord, angestellt als Pflegehelferin. Der Richter erkundigt sich, ob sie – anders als beim ersten Mal vor Gericht – Angaben machen wolle. „Nein, ich möchte von meinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen“, antwortet Annerose Zschäpe. Allerdings erteilt Zschäpes Mutter die Genehmigung, das Protokoll einer Vernehmung als Beweismittel zu verwenden, die sie 2011 kurz nach dem Auffliegen des NSU mit der Polizei geführt hatte. Nach höchstens zwei Minuten ist die Befragung beendet. Mutter Zschäpe geht, ohne einen Blick auf ihre Tochter zu werfen.

Danach wird vom Gericht das Protokoll der polizeilichen Vernehmung Annerose Zschäpes verlesen. Diese machte zu DDR-Zeiten Abitur und studierte in Rumänien Zahnmedizin, fünf Jahre lang bis zum Abschluss. Als Zahnärztin habe sie aber nicht arbeiten können, weil sie unter Allergien leide, so Zschäpe vor der Polizei. Es folgten noch ein Fernstudium und eine Anstellung als Buchhalterin, nach der Wende fast zwei Jahrzehnte Arbeitslosigkeit. „Da ging unser Drama los“, kommentierte sie es seinerzeit gegenüber den Polizeibeamten. Mutter Zschäpe ließ den Säugling Beate von Mitte 1975 bis Ende 1976 von ihrem neuen Freund in Jena betreuen, während sie in Rumänien weiterstudierte. Den leiblichen Vater, einen Rumänen, lernte die Tochter nie kennen. Annerose Zschäpe gab selbst an, sie habe sich während der Kindheit der Tochter „richtig hängen lassen“. Annerose Zschäpe berichtete, wie sie über Beate in den 1990er Jahren Uwe Böhnhardt und Uwe Mndlos kennenlernte. Doch auf die Rückfrage eines Polizeibeamten bescheinigte die Mutter, Beate sei „nicht leicht beeinflussbar“ gewesen und „Sie war nicht sprunghaft.“ Außerdem sei der Mutter aufgefallen, „dass Beate gut mit ihrem Geld auskam“ und wirtschaften konnte.

Bei Böhnhardt und Mundlos hatte Annerose Zschäpe „zuerst kein schlechtes Gefühl.“ Mundlos brachte Beates Oma Blumen mitgebracht, Böhnhardt sei in die Zschäpe-Wohnung eingezogen – Fazit der Mutter: „Die beiden Jungs machten auf mich einen sehr ordentlichen Eindruck.“ Welcher polituschen Ideologie die Drei folgte, will sie erst festgestellt haben, als die Polizei 1996 die Wohnung durchsuchte. Doch da sei die Mutter „gar nicht mehr an Beate rangekommen“.

An Tag 360. (II) ging es um die Bewertung des Bauer-Gutachtens, das ganz wesentlich auf die Aussage von Annerose Zschäpe aus dem Jahre 2011 aufbaut. Dabei kam es schließlich zum Eklat: Nebenklageanwältin Doris Dierbach zitiert im Gericht aus einer Mail, die er nach seinem Auftritt an die Zeitung „Die Welt“ geschickt hatte. Darin ging es nicht um die Frage, ob das Mitbringen von Pralinen zu den Gespächen mit Beate Zschäpe verwerflich sei oder nicht. Bauer fragte an, ob die Welt-Redaktion „Interesse an einem exklusiven Beitrag“ über das Gutachten habe. Dazu fügte er den Volltext seiner Analyse an – angefüllt mit Details aus Zschäpes persönlichem Lebensbereich. Auch einen Grund für seine Kontaktaufnahme nannte er: „Eine Hexenverbrennung soll ja schließlich Spaß machen. Daher wird jeder, der das Stereotyp infrage stellt“, laut dem Zschäpe „das nackte Böse in einem weiblichen Körper“ sei, „von Süddeutscher Zeitung und Spiegel angegriffen und weggeschossen“.

Dierbach und mehrere andere Anwälte der Nebenklage beantragen deshalb umgehend, dass das OVG München Bauer wegen des Verdachts der Befangenheit ablehnen solle. Er sehe sich anscheinend als „Beschützer der Angeklagten“. Seine „unfassbare Entgleisung“ habe gezeigt, dass er mit dem Gutachten ein persönliches Interesse verfolge. Über den Antrag soll im Laufe des Juni entscheiden werden: kommt er durch, würden der Hauptangeklagten wohl auch die Angaben ihrer Mutter nichts mehr helfen können.

30.05./31.05./01.06.2017: Der 361. bis 363. Verhandlungstag

Der vom OVG München als einziger Sachverständiger bestellte Psychiater Prof. Dr. Henning Saß verteidigte an diesen drei Verhandlungstagen sein Gutachten über die Hauptangeklagte Beate Zschäpe umfassend gegen die Kritik ihrer verschiedenen Anwälte und Gegengutachter. Saß sagte am 367. Verhandlungstag, er habe weder vor, sein Gutachten zu ergänzen, noch, dieses abzuändern. Zur Begründung gab er an, weder die größtenteils akademischen Ausführungen des Bochumer Psychiaters Pedro Faustman (= den die Zschäpe-Alt-Anwälte Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm mit einer Methodenkritik beauftragt hatten), noch die „Exploration“ durch den Freiburger Psychiater Joachim Bauer (= er wurde durch die Anwälte Hermann Borchert und Mathias Grasel ins Verfahren gebracht), hätten am Ergebnis seiner Expertise etwas geändert, so Saß.

An Tag 368 erläuterte Prof. Saß, dass Bauers Beteuerung, in welch ungünstigen Umständen die Hauptangeklagte aufgewachsen sei und wie verheerend sich dies auf ihre Entwicklung ausgewirkt habe, aus seinr Sicht zwar schwierige Lebensverhältnisse umschreib, die jedoch zur Zeit der Wende in der ehemaligen DDR so ungewöhnlich wiederum nicht waren. Eine Erklärung für das jahrelange Verharren der Angeklagten bei zwei Männern, die mordeten, Anschläge und Raubüberfälle verübten, habe sich daraus jedenfalls nicht ergeben. Demnach bleibt es für ihn dabei: Zschäpe ist voll schuldfähig. Zudem hält Saß auch an der für die Angeklagte denkbar ungünstigsten Prognose fest. Sollte sich der Senat der Auffassung des Generalbundesanwalts anschließen, so steht es im Saß-Gutachten, komme bei Zschäpe auch Sicherungsverwahrung in Betracht.
Antag Tag 369 ging es um das Faustmann-Gutachten. Dieser hatte unter anderem kritisiert, dass in Saß’ Gutachten zu viele subjektive Wertungen enthalten seien. Dieser hielt dagegen, die Begutachtung eines Angeklagten durch einen forensischen Psychiater sei eben keine objektiv messbare Naturwissenschaft. Die Interpretation seelischer Phänomene, das Bild einer Persönlichkeit und dessen Einordnung in den Zusammenhang der Anklage seien eine höchst subjektive Angelegenheit und müssten jeweils im Einzelnen kenntlich gemacht werden. Diesem Umstand habe er Rechnung getragen, so Saß, indem er mit Formulierungen wie „es erscheint“, „erweckt den Eindruck von“, „meines Erachtens“, „deutet hin auf“ einem falschen Eindruck objektiv feststehender Tatsachen entgegengewirkt und auf die Grenzen seiner Erkenntnismöglichkeiten hingewiesen habe. Mit spitzem Unterton merkte Saß an, dass sich so mancher von Faustmann gerügte angebliche Mangel bei genauem Lesen und ein wenig Verständnis für den Zusammenhang von selbst erkläre. So hatte Faustmann etwa kritisiert, Saß habe manchen Begriff nicht „operationalisiert“. Unklar sei, was er zum Beispiel unter „verdrängen“, „abspalten“ und „externalisieren“ verstehe.

In seiner Zusammenfassung der drei Verhandlungstage führte Prof. Henning Saß aus, bei Begutachtungen komme es eben auf die Erfahrung des Gutachters an, seinen wissenschaftlich geschulten Blick und vor allen Dingen seine neutrale Haltung gegenüber dem oder der Angeklagten. Genau hier spielte er auf verschieden Fauxpas des Psychiaters Bauer an, denn erstens ist Bauer nicht vom Fach, kein Forensiker. In der Woche zuvor war bekannt geworden, dass er sich Zschäpe darüber hinaus mit so viel Empathie genähert hatte, dass von einer neutralen Haltung nicht mehr die Rede sein kann. Unter anderm hatte Bauer der Angeklagten zu den Gesprächen Pralinen mitgebracht . Saß’ Kritik war ebenso elegant wie vernichtend formuliert: Bei Bauer durchmischten sich „in ungeregelter Form Beobachtungen, Interpretationen und Hypothesen“, so Saß. Der Freiburger Psychiater habe kein Untersuchungsergebnis geliefert, sondern „weitgehend spekulative, an bestimmten Vorannahmen gebundene Vermutungen“.

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