Tim Schwarz beschreibt „Beate Zschäpe: Wie sie wurde, was sie heute ist“ (Teil 6)

02.08.17 • INTERESSANTES, JEZT AKTUELL, NEWSCONTAINER, START, UNSER JENAKeine Kommentare zu Tim Schwarz beschreibt „Beate Zschäpe: Wie sie wurde, was sie heute ist“ (Teil 6)

Die vielen Gesichter der Beate Z – Grafik © Ulli Hartmann

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Die heute 42-jährige Beate Zschäpe entging im Alter von 23 Jahren gemeinsam mit ihren Lebensgefährten Uwe Böhnhardt und ihrem Freund Uwe Mundlos durch Flucht einer Verhaftung mit anschließender Gefängnisstrafe, denn das Jenaer Trio hatte gemeinsam in einer Garage, die Zschäpe anderthalb Jahre zuvor angemietet hatte, Bomben gebaut und damit Terror auszuüben versucht. In ihrer Garage fanden sich nach einer Polizeirazzia am 26.01.1998 vier funktionsfähige Rohrbomben mit etwa 1,4 Kilogramm TNT, nationalsizialistisches Propagandamaterial, Hassartikel, in denen zum Mord an Ausländern aufgerufen wurde und Gedichte mit Titeln wie „Ein Türkenschwein, das heut noch stirbt – so ein Pech“ oder „Alidrecksau, wir hassen dich“.

Die anschließende Durchsuchung von Zschäpes Wohnung fördert u.a. zutage: eine Reichskriegsflagge, eine Gaspistole, ein Luftgewehr mit Zielfernrohr, eine Armbrust, eine Machete, einen Morgenstern, diverse rechtsextreme Schriften und ein Brettspiel mit dem Namen „Pogromly“. Die ausgestellten Haftbefehle gegen Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos konnten jedoch nicht vollstreckt werden, weil sich das Trio nach Sachsen abgesetzt hatte und dort anschließend fast vierzehn Jahre im Untergrund lebte.

Ihre Vita im Untergrund (IV): Erst nach zehn Morden, drei Sprengstoffanschlägen, 16 Raubüberfällen, dem Tod von Böhnhardt und Mundlos in Eisenach, Zschäpes in Brand setzen der konspirativen Wohnung in Zwickau und ihrer anschließenden viertägigen Flucht mit der Bahn kreuz und quer durch Deutschland war Beate Zschäpes Zeit im Untergrund beendet. In Begleitung eines Rechtsanwalts erschien Zschäpe am Nachmittag des 08.11.2011 im Anmeldezimmer der damaligen Landespolizeidirektion Jena und stellte sich den Beamten mit den Worten: „Ich bin die, die Sie suchen„. Während der Bahnfahrten der Tage zuvor, nutzte sie eine auf den Namen von Susann Em#ng#r ausgestellte Bahncard mit ihrem, Zschäpes, Konterfei. In ihren Habseligkeiten bei der Festnahme befand sich ein Service-Pass für ein Mountainbike, ausgestellt ebenfalls auf Susann Em#ng#r, sowie ein Wochenendticket der Bahn für denselben Namen. Im „NSU“-Prozess wurden die weiteren Dinge erwähnt, die Beate Zschäpe bei der Festnahme mit sich führte: Haargummis, Pfefferspray, Schmerztabletten, Tabletten gegen Fieber, eine Geldbörse mit 12 Euro Kleingeld sowie die Bekleidung.

Am späten Nachmittag des 04.11.2011 hatte die damals 36-jährige Jenaerin ihre hektische Flucht mit der Bahn Richtung Chemnitz begonnen – hektisch deshalb, weil sie hierfür erheblich weniger Geld mitnahm, als in der Wohnung vorhanden war: im Schutt des zerstörten Hauses fanden sich später noch viele 10.000 Euro, die Zschäpe hatte liegen lassen. Am Morgen des 05.11.2017 rief sie von Leipzig aus bei den Eltern von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos an und teilte kurz mit, dass beide tot seien, setzte dann ihre Zickzackfahrt durch Deutschland fort in Richtung Eisenach. Zuvor warf sie in der Nähe des Leipziger Hauptbahnhofs mehr als ein Dutzend Briefumschläge mit dem „NSU“-Bekennervideo in einen Postkasten und verschickte sie an Nachrichtenmagazine, Zeitungen, Moscheevereine, Parteien und einen rechten Verlag. in Eisenach wurde sie am Nachmittag des 05.11.2011 von Zeugen gesehen, wie sie im Ortsteil Stregda dorthin ging, wo Böhnhardt und Mundlos sich einen Tag zuvor das Leben nahmen und das Wohnmobil in Brand gesetzt hatten.

Zschäpe fuhr in der Nacht zum 06.11.2011 nach Hannover, wo sie gegen 6:00 Uhr morgens am Hauptbahnhof eintraf. Neun Stunden blieb sie in der Region, bevor sie nach Bremen weiterfuhr – neun Stunden, in denen sie wahrscheinlich versuchte, Kontakt mit Holger Gerlach aufzunehmen, dem langjährigen „NSU“-Helfer, der nur eine knappe Stunde entfernt wohnte. Nach ihrem Abtauchen 1998 hatte Gerlach dem Trio immer wieder mit Papieren und Krankenkassenkarten ausgeholfen: mit dem Foto Uwe Böhnhardts hatte er noch im Frühjahr 2011 auf seinen Namen einen neuen Reisepass beantragt, gültig bis 2021. Im Prozess sagte ein Zwickauer Taxifahrer aus, er habe am 16.06.2011 eine Frau mit einen schwarzen Kapuzenpulli und einer Sonnenbrille von der Frühlingsstraße 26 zum Bahnhof gefahren. Zwei Tage zuvor war dort mit einer Bahncard eine Fahrkarte von Zwickau zum Bahnhof Haste gekauft worden und Haste liegt nur wenige Kilometer von Gerlachs Wohnort entfernt; möglicherweise hatte Beate Zschäpe damals den Reisepass für ihren Lebensgefährten persönlich bei Gerlach abgeholt. Gerlach jedoch war am 06.11.2011 nicht erreichbar; in der Nacht zuvor hatte ihn die Polizei vorläufig festgenommen, weil jenes Wohnmobil, mit dem Mundlos und Böhnhardt aus Eisenach hatten fliehen wollten und in welchem sie den Tod fanden, mit Gerlachs Führerschein angemietet worden war.

Am 07.11.2011 fuhr Zschäpe von Bremen über Uelzen und Braunschweig nach Halle, wo sie laut einer Zeugenaussage aus Versehen beinahe gegen eine Straßenbahn gelaufen wäre. In der Nacht zum 08.11.2011 verließ Beate Zschäpe schließlich Halle und fuhr über Dresden nach Jena. Am Morgen des 8. November 2011 kam die Jenaerin am Paradiesbahnhof ihrer Heimatstadt an, fuhr mit der Straßenbahn nach Jena-Nord und versuchte dort, ihre Großmutter aufzusuchen. Das gab sie jedoch auf, als sie vor dem Wohnblock in Jena-Nord Polizeifahrzeuge bemerkte. Danach meldete sie sich bei der Jenaer Polizei telefonisch mit den Worten „Hier ist Beate Zschäpe. Ich bin diejenige, nach der schon seit Tagen gesucht wird.“ Der Polizist am anderen Ende der Leitung verstand die Anruferin jedoch nicht und erwiderte, ihm sei nichts Derartiges bekannt, was auch der Wahrheit entsprech, denn die bundesweite Fahndung nach ihr war erst am Morgen des 08.11.2011 gestartet worden. Stunden später erschien Zschäpe in Begleitung eines Rechtsanwalts – es war der zweite, den sie an diesem Tag in Jena aufsuchte; der erste hatte ein Mandat abgelehnt – persönlich bei der Landespolizeidirektion und schwieg zu allen Vorwürfen.

Später, im „NSU“-Prozess, als sie ihr Schweigen brach, belastete Zschäpe jenen Holger Gerlach schwer, der ihr damals nicht hatte helfen können, ließ über ihren Vertrauensanwalt erklären, er habe gewusst, „dass wir von Banküberfällen lebten.“ UNd weiter erklärte sie, dass Gerlach das Trio 1998 mehrmals in Fluchtwohnungen besucht habe und später gemeinsame Urlaube mit ihnen verbrachte. Es war einer der wenigen Momente, in denen das Gericht, die Ermittler, die Nebenkläger und die Öffentlichkeit einen kleinen Einblick aus ihrem Mund in das Leben des „Nationalsozialistischen Untergrunds“, in Beate Zschäpes Zeit im Untergrund bekamen,

In meiner kleinen Serie habe ich mit Stand Sommer 2017 versucht, mich der Person Beate Zschäpe auf verschiedenen Wegen zu nähern: kriminalistisch, psychologisch, menschlich. Dabei war es mir wichtig, dass man zumindest ansatzweise erkennt, wie diese Frau wurde, was sie heute ist: Hauptangeklagte in einem der monströsesten bundesdeutschen Strafprozess seit Jahrzehnten. Seit mehr als vier Jahren läuft das Verfahren, in dem insgesamt 815 Zeugen und 42 Sachverständige gehört wurden und dessen Kosten sich bisher auf 55 bis 60 Millionen Euro belaufen. Jetzt, in der zweiten Jahreshälfte 2017, befindet sich das größte Terror-Verfahren seit der Zeit der Rote Armee Fraktion, in seiner letzte Phase. Die Beweisaufnahme ist abgeschlossen, die Bundesanwaltschaft hat bezüglich Beate Zschäpe plädiert, die Plädoyers der Nebenkläger folgen, darauf die von Zschäpes fünf Anwälten – das wird noch viele Wochen dauern. Es ist denkbar, aber nicht sicher, dass noch in diesem Jahr ein Urteil gesprochen werden wird.

Bis zu einer Verurteilung gilt in unserem Rechtssystem jeder Angeklagte formell als unschuldig. Es bestehen jedoch zum Ende des Münchner „NSU“-Prozesses wenig Zweifel daran, dass die Hauptangeklagte in allen Punkten schuldig gesprochen werden könnte und eine lebenslange Haftstrafe zu erwarten hat. Zwar ist es vom ersten Tag an ein Indizienprozess gewesen, denn es gibt von Beate Zschäpes Seite aus kein Geständnis, doch ist die Kette der Verdachtsmomente gegen sie unglaublich dicht. Nach Meinung vieler Rechtsexperten stützte sie ihren beiden Freunde nicht etwa, weil man sie hierzu emotional erpresst hätte; vielmehr habe sie schon vor dem Gang in den Untergrund die Prinzipien der Ideologie des „NSU“ geteilt und wurde später der familiäre Rückhalt ihrer mörderischen Freunde in deren täglichem Leben. Damit habe sie sich, so führte es Bundesanwalt Diener in seinem Plädoyer aus, „als Mittäterin an allen Taten schuldig gemacht, die dem NSU zugeordnet werden“.

Ausgeführt wurden die Taten – daran gibt es nach Abschluß der Beweisaufnahme keinen Zweifel – von Zschäpes Freunden Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Zschäpe aber trug ihren Teil dazu bei: als „Tarnkappe“ des „NSU“, wie es die Anklagebehörde nennt. Während ihr Lebensgefährte gemeinsam mitUwe Mundlos mordete, schwatzte sie und trank mit Nachbarn, feierte Feten, hatte immer eine überzeugende Lüge parat, wenn sich jemand nach dem Leben in der Dreier-WG erkundigte, verwaltete das geraubte Geld (und gab es auch wie selbstverständlich aus) , zündete zum Zwecke der Beweisvernichtung die gemeinsame Wohnung an, verschickte die DVDs, durch die der „Nationalsozialistische Untergrund“ mit seinen Taten schlagartig bekannt wurde.





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