„Fake-News Eigentor?“ – Was ein SPD-Flyer mit Albrecht Schröters Nicht-Wiederwahl zu tun haben könnte

05.05.18 • JEZT AKTUELL, NEWSCONTAINER, POLITIK & URBANES LEBEN, START, UNSER JENAKeine Kommentare zu „Fake-News Eigentor?“ – Was ein SPD-Flyer mit Albrecht Schröters Nicht-Wiederwahl zu tun haben könnte

Pro Schröter Flyer „Es steht viel auf dem Spiel“ – Abbildung © MediaPool Jena

Noch haben die Jeaner Sozialdemokraten nicht herausgefunden, warum genau SPD-Amtsinhaber Dr. Albrecht Schröter bei der Stichwahl am vergangenen Sonntag bei rund zwei Dritteln der zu den Wahlurnen aufgebrochenen Wählerinnen und Wählern durchgefallen ist.

Spekuliert wird, dass diese sich gedacht hätten: Ein neues Gesicht an Jenas Spitze wäre nach 18 Schröter-Jahren – zwölf als OB und sechs als Dezernent – nicht schlecht. Fakt ist aber wohl, dass die wahltaktische Vermarktung der Schröter-Erfolge offensichtlich „suboptimal“ war und auch ein anderer Faktor für die krachende Niederlage scheint denkbar.

„Unser Anspruch ist, dass die Beiträge interessante und relevante Erkenntnisse liefern. Wir wollen ein Umfeld bieten, in dem alle gerne mitdiskutieren“, war auf der Facebookseite Schröters zu lesen, doch nachdem der amtierende Oberbürgermeister in der ersten Wahlrunde mehr als 8000 Stimmen gegenüber der gleichen OB-Wahlphase vor sechs Jahren eingebüßt hatte und hinter dem Newcomer von den Freien Demokraten lag, gab es auf der Schröter@Facebook-Seite interessante „relevante Erkenntnisse“ zu lesen, wie etwa „Nitzsche (FDP) hält davon nichts“. Weitere Erklärungen, was er oder warum er nichts von was auch immer hält: Fehlanzeige!

Und dann kam der „Es steht viel auf dem Spiel“-Flyer, der über eine Woche lang  massenhaft an zigtausende Haushalte in Jena verteilt wurde und eine Art Plus/Minus-Liste darstellen soll. Hierbei wurden auf der roten Haben-Seite allein Schröters Wohltaten und Wahlversprechungen aufgelistet, während auf „der dunklen Seite“ des SPD-Flyers Nitzsche-Zitate eines JenaTV-Interviews zu finden sind, die – wenn man sich das Ganze noch einmal zu Gemüte führt – aus dem Kontext gerissen suggestiv eingesetzt wirken.

Beispiel „Personal“: Auf die Frage, wo man bei der Stadt Jena Geld einsparen könne, antwortete Thomas Nitzsche der Jena TV Moderatorin, dass dies aus seiner Sicht der unmittelbare Bereich des OBs ist, der in den letzten Jahren stark gewachsen sei, sich von den Stellen her fast verdoppelt hat. Bei OB Dr. Peter Röhlinger [Anmerkung: von 1990 bis 2006 im Amt] sei dies anders gewesen, der Bereich schlanker. Da wolle er hin, sagte Dr. Nitzsche. Niemals bezeichnete er 1200 qualifizierte Mitarbeiter explizit als „Kostenfaktor Nr. 1“ und bei ihm war von betriebsbedingten Kündigungen ebenfalls keine Rede. Liest sich aber im Schröter-Flugblatt irgendwie anders.

Schröters SPD-Flyer von 2006

Beispiel „Jugend“: Thomas Nitzsche hatte lange Jahre den Vorsitz des Jugendhilfe-, des Schulentwicklungs- und des Kita-Unterausschusses der Stadt Jena inne, ist also Fachmann auf dem Gebiet, wie ich aus eigener Erfahrung in diesem Bereich bestätigen kann. Dass er feststellt, Kosten seien der Stadt hier „in den letzten Jahren aus dem Ruder“ gelaufen, ist sein gutes Recht unter dem Wirkungskreis der freien Meinungsäußerung, hat aber nichts direkt mit dem im SPD-Flyer erwähnten Jugendförderplan und der tarifgerechten Entlohnung der Beschäftigten zu tun. Aber genau das suggerierte man den Lesern – sprich: „Dieser Mann nimmt der Jugend das Geld weg.“

Beispiel „Nahverkehr“: Bei der Antwort von Dr. Nitzsche „weit, weit an die Seite schieben“ war die Frage an ihn gar nicht das kostenfreie Ticket für Kinder und Jugendliche gewesen (das im Übrigen auf SPD-Seite überhaut nicht durchfinanziert war, weshalb auf dem Flyer auch ‚Ziel“ stand, auf den Schröter-Großwahlplakaten jedoch zuvor das Wort ‚kommt‘) sondern der Umgang mit den Jenaer Ortsteilen und deren Nahverkehrsanbindung. Solange Ortsteile immer noch darum betteln müssten, besser an das Jenaer Nahverkehrsnetz angebunden zu werden, bessere Takte zu bekommen, sagte Thomas Nitzsche in Jena TV, sei für ihn ein kostenloser Nahverkehr „weit, weit“ weg. Und wieder wurde ihm auf dem Schröter-Flugblatt das Wort im Munde umgedreht.

Doch was machte Dr. Thomas Nitzsche? Der zeigte sich unbeeindruckt und reagierte lange gar nicht auf die Kampagne gegen ihn, meldete sich lediglich aus Anlass der Presse-Berichterstattung über den Jonas-Zipf-Fauxpas kurz auf seiner Homepage zu Wort und erklärte: „Wahlkampf sollte sein: hart in der Sache, fair zur Person.“

Schon einmal hatte Dr. Albrecht Schröter mit einem ähnlichen Flyer eine Stichwahl gewonnen (siehe Abbildung rechts) – vielleicht dachte man deshalb in seinem Team: Was 2006 gut war, wird auch 2018 funktionieren. Eines hatte man dabei aber wohl übersehen: 2006 beherrschten noch klobige Handys die Welt – das iPhone kam wenig später auf den Markt und hat seitdem die Welt smart verändert.

Mit artigsten Grüßen

Chris Steinberger


Hören Sie zum Thema auch das Radio OKJ-„Stadtgespräch“  mit Redaktionsleiterin Katja Schubach (klick!)





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