Die Thüringer Landesregierung plant die Beibehaltung der rückwirkenden Erhebung von Straßen(aus)baubeiträgen

30.01.16 • JEZT AKTUELL, POLITIK & URBANES LEBEN, START1 Kommentar zu Die Thüringer Landesregierung plant die Beibehaltung der rückwirkenden Erhebung von Straßen(aus)baubeiträgen

Grundhafter Straßenausbau – Symbolfoto © Stadt Jena KSJ

Grundhafter Straßenausbau – Symbolfoto © Stadt Jena KSJ

(JEZT / KSJ) – Das Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales (TMIK) hatte am 22.01.2016 in Weimar zu einem weiteren Diskussionsforum mit der Bürgerallianz Thüringen, den drei Regierungsfraktionen von Rot/Rot/Grün und weiteren Fachverbänden eingeladen, in dessen Verlauf das TMIK bekanntgab, dass man plane, an der bisherigen Praxis zur Erhebung von Straßenausbaubeiträgen (SAB) festzuhalten, womit auch die (hauptsächlich von der Bürgerallianz Thüringen favorisierte) Abschaffung der rückwirkenden Beitragserhebung nach § 7 des Thüringer Kommunalabgabengesetzes nicht möglich wäre.

Ebenso wurde mitgeteilt, dass eine verfassungsrechtliche Prüfung durch das Thüringer Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz (TMMJV) ergeben habe, dass alle anderen im Freistaat quer durch die Parteien diskutierten Modelle, darunter die generelle Abschaffung der SAB, die Erhebung der SAB allein in das Ermessen der Kommunen zu stellen oder die Einführung einer (steuerähnlichen) jährlichen Infrastrukturabgabe ebenso erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken hervorrufen würden, wie die oben erwähnte Begrenzung zur Rückwirkung der Straßen(aus)baubeiträge auf z.B. vier Jahre.

Weiter erklärte das TMIK, dass die von der Bürgerallianz Thüringen gegen überhöhte Sozialabgaben e.V. geforderte Überprüfung dahingehend, ob eine erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen die rückwirkende Festsetzung von Kanalanschlussbeiträgen im Bundesland Brandenburg Auswirkungen auf die Erhebung von SAB in Thüringen habe, keinen Sinn machen werde, da die in Brandenburg festgestellten Sachverhalte zu Kanalbeiträgen sich auf Straßen(aus)baubeiträge nicht anwenden lassen.

Straßenausbau – Symbolfoto © Stadt Jena KSJHierzu erklärte die Bürgerallianz Thüringen ihre Enttäuschung über den bisherigen Ausgang des im Koalitionsvertrag zwischen den Thüringer Regierungsparteien Linke, SPD und Bündnis’90/Grüne mit den Worten „Eine Landesregierung soll im Dialog mit den kommunalen Spitzenverbänden und dem Dachverband der Bürgerinitiativen das Thema ‚Straßenausbaubeiträge‘ auf die Tagesordnung setzen. Dabei soll u.a. diskutiert werden, welche Modelle der Erhebung von Straßenausbaubeiträgen anderer Bundesländer für Thüringen Vorbildcharakter haben, wie die Entscheidungskompetenz der Gemeinden gestärkt, die Transparenz erhöht und die Bürgerinnen und Bürger nicht über Gebühr belastet werden. Die Koalition plant, die rückwirkende Erhebung von Straßenausbaubeiträgen zu begrenzen.“ angedachten Vorgehens.

Laut dem Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales soll bis zur Sommerpause eine endgültige Entscheidung durch die Landesregierung und den drei Regierungsfraktionen bezüglich den Regelungen der Rückwirkung getroffen werden. Auf Bitten der Bürgerallianz werde es im März 2016 jedoch noch eine weitere Diskussionsrunde mit dem TMIK geben. Wolfgang Kleindienst erklärte als Sprecher des Vereins, er sehe in der jetzt bekannt gegebenen Entscheidung der Landesregierung einen „Bruch des Koalitionsvertrages von Rot/Rot/Grün“ sowie gravierende negative Auswirkungen auf zigtausende beitragspflichtige Bürger. Weiter erklärte er, die Landesregierung verstecke sich „hinter Gutachten von Beamten, die schon unter Vogel bis Lieberknecht gedient hatten.“ Verfassungsrechtliche Bedenken seien aus Sicht seiner Interessenvertretung „nicht angebracht.“

Die Bürgerallianz forderte zudem, „die rückwirkende Erhebung von Beiträgen auf 4 Jahre zu begrenzen, anschließend die SAB per Gesetz abzuschaffen, die Wahlversprechen einzuhalten und den Koalitionsvertrag nicht zu brechen. (…) Unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes Artikel 3 des Grundgesetzes der BRD sind die Kosten für den Straßenausbau von Gemeindestraßen und deren Nebeneinrichtungen wie in Berlin und Baden-Württemberg aus dem allgemeinen Steueraufkommen zu finanzieren“, so Kleindienst in einer Presseerklärung.


Ergänzender Hinweis: Dieser Artikel ist in wesentlichen Teilen zuvor erschienen auf dem Blog “Straßenbaubeiträge” der Stadt Jena und wird mit freundlicher Genehmigung des Kommunalservice Jena veröffentlicht.





Ein Kommentar

  1. Rainer Sauer sagt:

    Ich kann die Emotionen bei Wolfgang Kleindienst und seiner Bürgerallianz gut nachvollziehen. Deren Kampf gegen unsoziale Kommunalabgaben wurde durch Frank Kuschel, MdL der Linkspartei, in der Richtung befeuert, dass Kuschel (der selbst MItglied der Bürgerallianz ist) suggerierte, die Abschaffung der Beitragserhebung und die Änderung des Thüringer Kommunalabgabengesetzes dahingehend, dass die Rückwirkung der Beitragserhebung entfallen soll, wäre im grunde überhaupt kein Problem, wenn seine Partei gewählt werden würde und dann Regierungsverantwortung in Thüringen übernimmt. Das kann man durchaus als ein Wahlversprechen verstehen.

    Ein Konstrukt dahingehend, dass dies nun allein deshalb nicht möglich sei, weil der rote Regierungspartner von der SPD dies blockieren würde, ist eine gewagte Interpretation. Fakt ist: Es geht hier um Kommunalabgaben und die kann keine Landesregierung beliebig ändern, streichen oder kürzen, ohne dass eine Gegenfinanzierung vorgelegt wird.

    Bei einer Abschaffung von SAB muss diese Gegenfinanzierung über Steuern erfolgen. Ob man eine zusätzlich zur Grundsteuer zu erhebende Infrastrukturabgabe genehmigt bekommt (Merke: Bundesländer können nicht einfach per Dekret eine neue Steuer einführen – hierzu bedarf es der Beachtung der Steuergesetzgebungshoheit. Die Feuerschutzabgabe beispielweise, die Thüringen in den 1990er Jahren erhob, wurde seinerzeit nach Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht als unzulässig „kassiert“) ist mehr als fraglich, weshalb sich sogar die Linkspartei eher für eine Umlage der Einnahmeausfälle einer fehlenden Beitragserhebung über die Grundsteuer ausspricht.

    Bei der Grundsteuer jedoch hält die Bürgerallianz eine Erhöhung für „nicht notwendig“, was sowohl an der Realität als auch den einschlägigen Erfahrungen vorbeigeht. Noch nie blieben Grundsteuern unverändert, wenn kommunale Haushalte in Größenordnungen zusätzliche Mehrausgaben durch sie zu decken hatten. Auch am Beispiel der Stadt Jena und den aktuellen Beitragseinnahmen von etwas mehr als 800.000 Euro jährlich, wäre die Hoffnung einer Nicht-Erhöhung der Grundsteuern bei einem Verzicht auf die Erhebung von Straßenbaubeiträgen wohl als unrealistisch anzusehen.

    Wer hier also welche Versprechen bricht, ist unklar – klar ist jedoch, dass in den genannten Gutachten nur das zum Ausdruck kommen kann, was ich hier als Privatmensch und ohne meine berufliche Funktion etwas ausführlicher dargelegt habe. Hinzu kommt, dass ein Verzicht auf eine rückwirkende Erhebung von SAB ein eklatanter Verstoß gegen das grundgesetzliche Gleichbehandlungsgebot wäre.

    Es schient also alles darauf hinaus zu laufen, dass man in Erfurt andere Lösungen im Sinne der berechtigten Sorgen der von der Bürgerallianz vertretenen Grundstückseigentümer suchen muss.

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