Der 260. bis 265. Verhandlungstag im Münchner „NSU“-Prozess

01.03.16 • INTERESSANTES, JEZT AKTUELL, STARTKeine Kommentare zu Der 260. bis 265. Verhandlungstag im Münchner „NSU“-Prozess

JEZT - Inside NSU - Symbolbild © MediaPool Jena 2015

Zusammengefasst und kommentiert aus Pressemeldungen:

16.02./17.02./18.02.2016: Der 260. bis 262. Verhandlungstag

An Verhandlungstag Nummer 260 sollte ein als Zeuge geladener Krimineller aus Ostthüringen aussagen. Indes: es blieb bei demVersuch, denn der Zeuge weigerte sich ab einem bestimmten Punkt, dem Gericht Auskünfte zu geben und wurdeschließlich Nachmittags erst einmal wieder nach Hause geschickt. In Anwesenheit eines Anwalts muss der 49-Jährige jetzt ein weiteres Mal erscheinen. Immerhin machte er Angaben zur Person und gab sogar zu, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zwar nicht gekannt, jedoch „vielleicht einmal gesehen“ zu haben. Beate Zschäpe dagegen kenne er nicht, erklärte der heutige Transportunternehmer aus Jena, der etliche Jahre im Gefängnis gesessen hatte. Auch hierzu gab er bereitwillig Auskunft und rühmte sich sogar mehrmals mit den Worten „Wir waren die schärfste Bande in Thüringen!“. Zusammen mit „Kumpels“ habe man „eine Tonne Kokain“ verschoben, Frauen auf den Strich geschickt und jahrelang Waffen aus den Beständen der abziehenden Sowjetarmee verkauft. Als es konkrete Rückfragen des Vorsitzenden Richters Martin Götzl gab, verweigerte der Mann jedoch alle weiteren Angaben und erklärte, aus Angst um das Leben seiner heute vierjährigen Tochter sowie sein eigenes mache er ohne anwaltlichen Rat keine weitere Aussage mehr vor Gericht.

Die Tage 261 und 262 im „NSU“-Prozess brachten Beate Zschäpes eigene Darstellung, dass sie mit den Verbrechen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ nicht das geringste zu tun gehabt habe, etwas ins Wanken. Als „brutal und rücksichtslos“, beschrieben Zeugen vor Gericht einen der beiden Männer, der am 5. Oktober 2006 eine Zwickauer Sparkassenfiliale überfiel und dabei einen der Banklehrlinge niederschoss. Wie man inzwischen aufgrund der (dem Gericht an Tag 262 vorglegten) Videoauswertung der Sparkassenfilliale weiß, war dies der größere der beiden Täter: Uwe Böhnhardt. „Geld raus, sonst knallts!“, habe der maskierte Mann gerufen – und gleich im Anschluss einer Bankangestellten einen schweren Tiuschventilator an den Kopf geworfen. Als die Frau mit Kollegen in einen Nebenraum der Sparkasse flüchtete, wollte ihr Böhnhardt folgen und gab aus seiner Pistole einen Warnschuss ab. Die Kugel schlug im Fußboden ein.

Im Schalterraum sprang währenddessen ein Sparkassenlehrling Böhnhardt von hinten an und versuchte ihn umzureißen. Das gelang jedoch nicht, Böhnhardt drehte sich daraufhin um, zielte auf den Bauch des jungen Mannes und drückte ab. Das Projektil zerfetzte die Milz des Lehrlings, die ihm später in einer Not-OP entfernt werden musste, und streifte sein Rückgrat. Die Dauerfolgen für den Mann: er ist heute nur noch eingeschränkt arbeitsfähig und musste als körperliche wie seelische Folge des brutalen Überfalls von vor 9 1/2 Jahren den Beruf des Bankkaufmannes aufgeben.

Die ganze Rücksichtslosigkeit von Uwe Böhnhardt fasste eine Zeugin vor dem Oberlandesgericht mit einem Satz zusammen: „Der Räuber hat einen Augenblick gewartet und gezielt und dann in aller Ruhe abgedrückt!“ Einem Arzt, der zufällig im Vorraum der Bank stand, hielt dBöhnhardt bei seiner Flucht noch den Revolver an den Kopf und der Mediziner (der später dem schwerverletzten Lehrling Erste Hilfe leistete) berichtete als Zeuge: „Der Täter hat ein bisschen gelächelt, wie er auf mich gezielt hat!“

Auch an Tag 262 ging es um den versuchten Mord auf den mutigen Auszubildenden. Ein Polizist des BKA berichtete über seine Aufgabe, Asservate, die im Brandschutt der Wohnung in der Frühlingsstraße in Zwickau und im Wohnmobil von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gefunden wurden, mit Fotos und Projektilen des Banküberfalls zu vergleichen. Dabei, so sagte er aus, sei festgestellt worden, dass die beim Banküberfall sichergestellten Projektile zu einem Revolver 38 passen würden, den die Polizei im Wohnmobil in Stregda bei Eisenach gefunden hatte. Auch eine Jacke und ein Rucksack, die bei dem Banküberfall verwendet wurden, konnten identifiziert werden. Außerdem sei die Art, wie der maskierte Täter den Revolver in der Hand gehalten habe, typisch für den Linkshänder Uwe Böhnhardt gewesen, sagte der Beamte aus. Man könne auch von der Körpergröße her davon ausgehen, dass es sich bei dem brutelen Bankräuber damals in Zwickau um Böhnhardt gehandelt habe.

Für Zschäpe ist dies insofern problematisch, da sie in ihrer Aussage vor Gericht (die von ihrem Anwalt im Dezember verlesen worden war) Uwe Böhnhardt als ihren langjährigen Lebensgefährten bezeichnet hatte und selbst zugab, von dem Geld der verschiedenen Sparkassenüberfälle gelebt zu haben. Dies könnte Zschäpe, in Zusammenwirken mit der Aussage,  sie habe „keine Kraft“ gehabt, Böhnhardt bei der Polizei anzuzeigen,  im juristischen Sinn zu einer Mittäterin an dem Mordversuch vom 5. Oktober 2006 machen.

23.02./24.02./25.02.2016: Der 263. bis 265. Verhandlungstag

Vor Beate Zschäpes Augen stapeln sich am 263. bis 265. Verhandlungstag eine Vielzahl von Waffen. Insgesamt zwanzig Pistolen, Pumpguns, Revolver und Maschinenpistolen fanden die Ermittler im Brandschutt des letzten Verstecks in der Zwickauer Frühlingsstraße sowie dem Wohnmobil in Eisenach, in dem Mundlos und Böhnhardt starben. Sie alle waren in kleinen und großen Pappschachteln und Pappkartons in den Gerichtssaal gebracht worden und daneben lagen noch einmal so viele Waffen in zwei olivgrünen Kunststoffkoffern: dies waren Vergleichswaffen aus der Sammlung des Bundeskriminalamtes (BKA).

Mehrere Experten des BKA gaben bereitwillig auf alle Fragen des Gerichts Auskunft, wobei die Hauptangeklagte relativ ruhig und nahezu unbeeindruckt von der Waffensammlung blieb. Zwar hatte sie bei ihrem Bekenntnis vor Gericht gesagt: „Ich gewöhnte mich daran, ab und zu eine herumliegende Pistole zu sehen. Ich hatte ab und zu eine Pistole in den Schrank weggeräumt, wenn sie offen herumlag, weil ich dies nicht wollte.“ Jedoch war schon in der Anklageschrift nebst Beweismittalauflistung des BKA für Beate Zschäpe und ihre Anwälte bereits zuvor ersichtlich gewesen, dass man an sämtlichen untersuchten Schusswaffen und der Munition keine genetischen Fingerabdrücke Zschäpes nachweisen konnte. Dort sicherten die Ermittler jedoch über 100 genetische Spuren von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, beispielsweise an den Dienstwaffen der beiden Polizisten, die 2007 in Heilbronn einem Anschlag zum Opfer fielen, bei dem die aus Thüringen stammende Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter starb und ihr Kollege Michael Arnold nach einem Kopfschuss schwer verletzt überlebte. An einer grauen Jogginghose, die im Brandschutt der Zwickauer Wohnung sichergestellt wurde, wiesen die Kriminaltechniker bereits vor Jahren Blutspritzer von Michèle Kiesewetter nach.

Erkenntnisse gab es allerdings an einem Paar Schuhe, das Beate Zschäpe während ihrer Flucht getragen hatte, bis sie sich am 8. November 2011 in Jena der Polizei stellte. Hieran fanden die Experten des BKA außer Zschäpes genetischem Fingerabdruck auch DNA-Spuren von Susann Em#ng#r, ihrem Sohn sowie ihrem Mann, dem in München mitangeklagten André Em#ng#r. Deshalb besteht nach wie vor der Verdacht, dass zumindest André Em#nger die Hauptangeklagte am 4. November 2011 in Zwickau zum Bahnhof gefahren oder dort getroffen hat, nachdem diese den „NSU“-Unterschlupf in Zwickau in Brand gesetzt hatte. Dabei hat Beate Zschäpe wahrscheinlich ihre eigenen Schuhe gegen ein Paar aus Susann Em#ng#rs Besitz getauscht. Das aber könnte André Em#ng#r juristisch als Beihilfe zu einer Straftat angelastet werden.

Unter den dem Gericht an den drei Verhandlungstagen präsentierten Waffen waren auch der Revolver, mit dem Uwe Böhnhardt im Oktober 2006 dem jungen Auszubildenden bei einem misslungenen Banküberfall in Zwickau in den Bauch schoss, die Winchester-Punpgum, mit der Uwe Mundlos am 4. November 2011 im Wohnmobil in Eisenach zuerst Böhnhardt und kurz danach sich selbst richtete, sowie die berüchtigte Ceska Modell Browning Pistole, mit der Mundlos und Böhnhardt insgesamt neun Migranten ermordeten. Beamte des BKA hatten sämtliche Originalwaffen sorgfältig gereinigt, um mit ihnen noch einmal schießen zu können. Anhand der so erzeugten Spuren an den Nau-Projektilen war es den Ermittler möglich, einzelne Waffen bestimmten Taten des „Nationalosozialistschen Untergrunds“ zuzuordnen.

Noch vor Verhandlungsbeginn am 264. Verhandlungstag war bekannt gegeben worden, dass auch der erneute Befangenheitsantrag von Zschäpe und dem Mitangeklagten Ralf Wohlleben gegen den Senat gescheitert ist. Über den Befangenheitsantrag hatte ein anderer Senat des Oberlandesgerichts in München zu entscheiden. Dieser sah keine Voreingenommenheit der Richter. Es komme weniger auf eine einzelne Formulierung an, hieß es in der Begründung, als vielmehr auf den Gesamtzusammenhang. Bei der beanstandeten Stelle der Begründung handele es sich zwar um eine „weniger geglückte Formulierung“ , jedoch keinen Grund, die Befangenheit der Staatsschutzkammer festzustellen

Obwohl an Tag 264. abgelehnt stellte Ralf Wohllebens Anwalt Olaf Klemke an Tag 265. des Prozesses im Namen seines Mandanten erneut einen Ablehnungsantrag gegen den kompletten Strafsenat des Oberlandesgerichts. Die für den Vormittag geladenen Zeugen, die zu mehrere Raubüberfallen des „NSU“ aussagen sollten, konnten deshalb erst am Nachmittag befragt werden. Bei ihren Aussagen gab es jedoch keine Überraschungen. Vielmehr bestätigte sich das, was hierzu bereits aktenkundig war.

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