„Kalt berechnend und skrupellos?“ – Linke-Landtagsabgeordneter sprach mit Jenaer Jugendlichen über seine Zeit als Stasi-Spitzel

09.04.17 • AUS DER REGION, JEZT AKTUELL, KULTUR & BILDUNG, NEWSCONTAINER, POLITIK & URBANES LEBEN, START, UNSER JENA, UNSER JENA & DIE REGIONKeine Kommentare zu „Kalt berechnend und skrupellos?“ – Linke-Landtagsabgeordneter sprach mit Jenaer Jugendlichen über seine Zeit als Stasi-Spitzel

MdL Frank Kuschel - Foto © Die Linke

MdL Frank Kuschel – Foto © Die Linke

Das Radio Jena Historie LogoVor genau 30 Jahren – also zu DDR-Zeiten – war es, dass der jetzige Thüringer Landtagsabgeordnete der Partei Die Linke, Frank Kuschel, als IM (= Informeller Mitarbeiter) und Spitzel des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) tätig war. Wenn es stimmt, was man über ihn sagt, nämlich, dass er kalt berechnend und skrupellos sei, dann hat er ein solches Bild von sich in dieser Woche kaum korrigieren können.

Kuschel war zu Gast in unserer Stadt und sprach mit Schülerinnen und Schülern des Jenaer Christlichen Gymnasiums. Denen berichtete er in bestürzender Offenheit, man habe ihn seinerzeit sogar warnen müssen, nicht zu offen zu spitzeln. Nein, so der Landtagsabgeordnete, er habe dies alles damals nicht unter Druck getan, sondern aus politischer Überzeugung, „als notwendige Verteidigung gegen die Feinde der DDR“, die er „um jeden Preis“ unschädlich machen wollte, wie er es im Gespräch mit den Jugendlichen ausdrückte.

Die Zehntklässler des Christlichen Gymnasiums fragten Kuschel auch, weshalb es ihm nicht so gegangen sei, wie vielen anderen Stasi-IMs nach der Wende, die wegen ihrer Spitzeldienste den Job verloren und wollten außerdem wissen, weshalb er immer noch Landtagsabgeordneter sei, obwohl die Stasi-Kommission des Thüringer Landtages Kuschel für (Zitat) „unwürdig, dem Parlament anzugehören“ einstufte.

Stasi-Verpflichtungserklärung von MdL Frank Kuschel alias Fritz Kaiser aus dem Jahre 1988

Obwohl IM „Fritz Kaiser“ alias Frank Kuschel u.a. auch die heutige die Vorsitzende des Thüringer Geschichtsvereines „Freiheit e. V.“, Dorit Bause, bespitzelte und der damals Ausreisewilligen als „Feindin der DDR“ schweren Schaden zufügte (Bause und ihr Mann wurden verhaftet, tagelang verhört und anschließend ins Gefängnis geworfen), hält er die Entscheidung des Thüringer Landtags – sie ist ohnehin an keine Sanktionen gebunden – grundsätzlich für falsch und berichtete den Schülerinnen und Schülern, dass er deshalb Klage beim Thüringer Verfassungsgerichtshof  eingereicht habe, die jedoch abgewiesen worden sei.

Die Entscheidung sei auch deshalb falsch, so Frank Kuschel, da er zu DDR-Zeiten doch im Staatsdienst der DDR angestellt gewesen sei: von 1987 bis 1989 stellvertretender Bürgermeister der Stadt Ilmenau und anschließend bis 1990 Bürgermeister von Großbreitenbach. Für ihn als Mitarbeiter bei der Stadtverwaltung Ilmenau und damit Verantwortlichen für die Koordination der Sicherheitsorgane sei die Zusammenarbeit mit der Stasi „ganz normal“ gewesen, so Kuschel. Dass ihm diese Sicht der Dinge sehr leicht über die Lippen gekommen sei (Anmerkung: Im Oktober 1989 verriet er u.a. mehrere Personen, die mit dem „Neuen Forum“ sympathisierten, an die Stasi, worauf Verhaftungen folgten), bemerkten auch einige der Jugendlichen, die zuvor bereits mit Dorit Bause gesprochen hatten. Für sie sei Frank Kuschel zwar keiner gewesen, der heute alles abstreitet, jedoch habe er durch seine Arbeit Menschen gebrochen, kriminalisiert, Familien zerstört und Existenzen ruiniert, so einige Schülerinnen und Schüler.

Solidarität Plakat - Die Linke.

Wie es hieß, habe Kuschel sachlich und ruhig geantwortet, jedoch mitunter selbstgefällig, z.B. wenn er den Schülern des Christlichen Gymnasiums erklärte, dass seinerzeit die Sache mit der Stasi im Grunde „noch viel schlimmer“ war, als es sich die Schüler nach dem Aktenstudium möglicherweise ausmalen würden. Der Landtagsabgeordnete süffisant: „In den Akten steht nur ein kleiner Teil von dem, was ich wirklich bei der Stasi gemacht habe.“ Weshalb er Ausreisewillige dem Zuchthaus preisgegeben habe? Auch hier wich Kuschel nicht aus und sagte, für ihn sei die Ausreisewelle „eine Form des Kalten Krieges“, eine Art gesteuerter Verrat am Sozialismus gewesen, um die DDR durch den Verlust qualifizierter Arbeitskräfte zu destabilisieren und „das galt es zu bekämpfen.“

Ob er sich oder andere nie gefragt habe, was mit den Flucht- und Ausreisewilligen passiert sei, die er denunziert und ins Zuchthaus gebracht hatte, wurde Kuschel gefragt. Die Antwort: „Nachgedacht, was im Knast passiert, habe ich eigentlich nie“, so der Landtagsabgeordnete der Partei Die Linke. Dass er heute im Landesparlament sitze, begründet Kuschel mit dem „Recht auf einen politischen Irrtum“. Er wolle jedoch nicht auf diesen Teil seiner Biografie reduziert werden, arbeite in anderen Bereichen des Freistaats Thüringen gemeinsam mit den Bürgern an der Zukunft unseres Landes.





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