„Immer noch besser als Arbeiten“: Heinz Rudolf Kunzes neues „Deutschland“-Album ist erschienen

12.02.16 • JEZT AKTUELL, KULTUR & BILDUNG, RADIO JENA, START1 Kommentar zu „Immer noch besser als Arbeiten“: Heinz Rudolf Kunzes neues „Deutschland“-Album ist erschienen

JEZT - Heinz Rudolf Kunze - Deutschland - Abbildung © RCA

Heinz Rudolf Kunze – Eine typische Straße in Deutschland – Abbildung © RCA

(JEZT / TOBI REITER) – „Ich will Ihnen mal was sagen. Und das nunmehr seit Jahrzehnten.“ – Ein Zitat von Heinz Rudolf Erich Arthur Kunze aus seinem Buch „Artgerechte Haltung“. Und genau das ist sein Problem. Seit Jahrzehnten versucht er die Menschen in Deutschland zu bekehren mit Musik, mit Romanen mit literarischen Programmen.

JEZT - Sieht so das Heinz Rudolf Kunze Deutschland T-Shirt aus

Sieht so das neue Heinz Rudolf Kunze Polo-Shirt aus?

Dass er damit schon lange nicht mehr die Jugend erreicht, weiß er selbst – spätestens, seit dem er in der ZDF-Parade von Carmen Nebel aktuelle Singles wie „Die Welt ist Pop“, „Hunderttausend Rosen“ oder „Einmal noch und immer wieder“ zum besten gibt. Allesamt Lieder, die in das Schema passen, mit dem er vor genau dreißig Jahren die bundesdeutsche Musikwelt eroberte und seine zwei großen Hits hatte: „Dein ist mein ganzes Herz“ und „Mit Leib und Seele“. Danach wurde Herr Kunze richtig bissig und gut und erntete viel Lob für seine Album-Trilogie „Brille“, „Draufgänger“ und „Kunze: Macht Musik“, was nun auch schon weit mehr als zwei Jahrzehnte her ist.

Allerdings haben sich die Zeiten geändert und kaum jemand, der damals angesagt war, erreicht 2016 noch den Zeitgeist. Leute wie Mark Forster texten heute Sachen wie: „Wir haben schon eins, zwei Kriege geführt und haben schon drei, vier Zimmer demoliert.“ Das ist weder textlich noch grammatikalisch das Terrain von Heinz Rudolf Kunze, dem Germanisten und Beinahe-Lehrer. Und trotzdem sucht und versucht er nach wie vor den großen Charts-Erfolg und wirkt dabei inzwischen wie ein unterlegener Boxer, der vergebens auf den Lucky Punch wartet („Ich kann euch nichts mehr Neues zeigen. Ich sollte Konsequenzen ziehn.“).

JEZT - Heinz Rudolf Kunze im Videoclip Das Paradies ist hier - Foto © Tape TV RCA

Heinz Rudolf Kunze im Videoclip „Das Paradies ist hier“ – Foto © Tape TV RCA

Aber konsequent macht Kunze auch mit seinem neuen Album auf „dicke Brille“ und geht weiter auf seinem Weg, es allen recht machen zu wollen. „Der Staub weht durch die Straßen, trifft alle gleichermaßen…“ – Der Kunze-erfahrene Hörer merkt: Da erfindet sich keiner neu, er variiert höchstens die Musik- und Text-Versatzstücke, die er schon seit 1981 repräsentiert. Und bei den jüngeren Mitgliedern der Redaktion ist gar Ratlosigkeit festzustellen und „Keine Ahnung, was der Mann mir sagen will“ war noch eine der positiveren Reaktionen, als ich dort die CD vorspielte. Dass Heinz Rudolf Erich Arthur Kunze „ein überzeugter Rockmusiker, ein rebellischer Geist und ein phantasievoller Romancier“ ist, wie ihn die Plattenfirma anpreist, der sich „auf Märchen, Musical und Moritat“ versteht, interessiert in der (für einen Verkaufserfolg relevanten) Altersgruppe zwischen 14 und 29 anscheinend niemanden, weil er keiner von ihnen ist und ihre Sprache weder spricht noch ihre Bedürfnisse versteht. In der nächsten Altersgruppe von 30 bis 45 – das ist meine Generation – spielt Heinz Rudolf Kunze ebenso kaum eine Rolle, weil die ihn überwiegend als uncool und unlocker empfinden („Ich war noch ein Kind und die Kindheit war schön. Es tat gut, morgens mit auf die Felder zu gehen.“), wobei Ausnahme die Regel bestätigen („Denn wo ein guter Wille ist, da gibt’s auch einen Weg. In diesem Fall bedeutet das, dass ich mich zu dir leg.“).

JEZT - Heinz Rudolf Kunze - Deutschland - Coverabbildung © RCA

„Deutschland“ – Das Cover – Abbildung © RCA

Bleibt für ihn also allein die eigene Altersgruppe zwischen 45 und 60. Ohne Zweifel hat seine Firma RCA (von der u. a. auch Peter Maffay und Matthias Reim vertreten werden, die Kunze natürlich – poetisch gesehen – um Längen schlägt) recht, wenn sie verkündet, dass Kunzes „Deutschland“-Album „viele Denkanstöße“ bietet. Aber dass ihm – vor allem als Rockmusiker – nichts besseres einfallen will, als dieses unkonzeptionelle Sammelsurium an Musik- und Redensarten fürs Volk, macht (zumindest mich) traurig, bis hin zu Magenkrämpfen, die mich befallen, wenn mir „Immer noch besser als arbeiten“ als eine misslungene Demoversionen von „Draufgänger“ vorkommt oder „Hätt‘ ich doch nur auf meine Mutter gehört“ den Tag endgültig ruiniert. Abgesehen davon, dass der bunte Stilmix „Deutschland“ nicht retten wird, bleibt der Meister der Worte mit diesem Album wirklich pragmatische Antworten auf die brennenden Fragen unseres Landes schuldig. Er blickt zurück anstatt nach vorn, thenatisiert Probleme anstatt Lösungen zu präsentieren, und man merkt: Heinz Rudolf Kunze hat den Menschen in unserem Land nichts wirklich nichts mehr zu sagen außer: „Mensch gib dir einen Ruck und wechsle auf die sonnigen Seiten.“

„Deutschland“ ist eben nicht das Konzept dieses Albums sondern eher ein Verkaufs-Aufhänger, der hoffentlich nicht bei den Fans von „Willkommen liebe Mörder“ greift. Um das einmal klar zu sagen: Wenn bei uns in der Stadt demnächst wieder einmal Björn Höcke auftreten sollte, dann gehe ich eher an Papas Schrank und hole mir Heinz Rudolf Kunzes altes „Halts Maul“-T-Shirt raus, als eines seiner neuen Polo-Shirts anzuziehen.

Von mir gibt es deshalb leider nur drei von acht Sternen fürs Album, für das Cover sogar nur zwei und keinen (wenns denn so kommen sollte)  für das Polo-Shirt.

(Anmerkung: Die Zitate in Kursivschrift stammen alle aus den Texten des Albums.“)





Ein Kommentar

  1. Rainer Sauer sagt:

    Mein lieber Tobi, ich seh das Ganze bei weitem nicht so negativ wie Du (siehe auch: http://www.jezt.de/2016/01/12/deutschland-hier-erfahren-sie-was-das-neue-album-von-heinz-rudolf-kunze-so-aussergewoehnlich-macht/). Wenngelich auch ich zugeben muss, dass die völlig ohne Begleitmusiker live von HRK eingespielten Bonus-Titel eine Qualität haben/zeigen, wie sie das Album nur selten erreicht. Woran das liegt, kann ich auch nicht sagen, außer vielleicht, dass einige dieser Werke von Heinz Rudolf im Zenit seines Schaffens geschrieben worden sind.

    Um bei den Bonus-Titeln zu bleiben: Das Pianospiel von „Folgen sie mir weiter“ und „Abschied muss man üben“ ist grandios und 1:1 Ausdruck von Kunzes Gefühlswelt. Gitarre und Mundharmonika bei „Aller Herren Länder“ lassen einen davon träumen, was wäre, wenn Neil Young irgendwann mal in Deutsch singen würde. Und die an „Yesterday“ erinnernde „Elixier“-Liebeserklärung an seine Gabi ist ein perfekter Schlusspunkt. Man sollte, nein, man muss sich das „Deutschland“-Album allein schon wegen dieser Bonustitel kaufen. Und natürlich am Besten nachdem man ihn irgendwo genau so „Einstimmig“-Solo live erlebt hat.

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