»SOMMER 1969: Vier Wochen, die die Welt veränderten (2)«

08.08.19 • INTERESSANTES, JEZT AKTUELL, KULTUR & BILDUNG, STARTKommentare deaktiviert für »SOMMER 1969: Vier Wochen, die die Welt veränderten (2)«

„Cielo Drive August 1969“ by John Burgess © 2003

(Urban Pilz) – Der „Sommer 1969“ beinhaltete alles für die Generation der bis 1960 geborenen Menschen, um ihn unvergesslich zu machen. Mit 50 Jahren Abstand betrachtet, entfaltet er auch heute seine Unverwechselbarkeit.

In den vier Wochen, die die Welt veränderten, geschah in der amerikanischen Traumfabrik Entsetzliches. Man stelle sich vor: Das Hollywood-Traumpaar George Clooney und seine Frau Amal hätten dort ein Haus gemietet, in dem Amal – hochschwanger – mit ihrer Entourage entspannte und den Sommer genoss, während ihr Eheman zu Dreharbeiten im Ausland war. Soweit, so gut. Nur waren es im Sommer 1969 Regisseur und Schauspieler Roman Polanski und dessen Ehefrau Sharon Tate, die das Haus mit dem besten Blick über Hollywood gemietet hatten: Cieleo Drive 10050. Tate galt damals eine der schönsten Frauen der Welt, war Filmschauspielerin, Fotomodell und Stilikone der 1960er. Ihr Mann war mit Filmen wie „Tanz der Vampire“ und „Rosemaries Baby“ zum Shootingstar geworden und hielt sich für Dreharbeiten gerade in London auf.

Roman Polanski und Sharon Tate – Foto: privat

Zur gleichen Zeit lebte nicht weit entfernt auf einer heruntergekommenen Ranch, auf der hin und wieder Außenaufnahmen für Cowboy-Filme gedreht wurden, ein lächerlicher Neo-Nazi mit bis zu 100 Hippies, darunter viele junge Mädchen, und versuchte im Musikbusiness erfolgreich zu sein. Seine Name: Charles Manson.

Als seine Freundschaft mit den Beach Boys zerbrach und der Plan vom großen Erfolg nicht funktionierte, entwickelte Manson einen Hass auf das Hollywood-Establishment, wollte ihm als Guru seiner „Family“ Angst einjagen und Hysterie hervorrufen. Vor allem versuchte er aus Beatles-Songs Botschaften oder eine tiefere Bedeutung herauszulesen. Manson zitierte vor den Jüngern seiner Sekte oft die Bibel, am häufigsten das 9. Kapitel der Offenbarung des Johannes, wobei er die Fab Four aus Liverpool mit den vier apokalyptischen Reitern gleichsetzte. Seiner Meinung nach waren sie „göttliche Sprachrohre und Propheten“ aus deren Mund „Feuer und Rauch“ entströme.

Cover der Beatles-Single „Helter Skelter“ – Foto: Capitol Records

Und Charles Manson sah den „Helter Skelter“ voraus, den er als den „letzten Krieg auf der Erde“ definierte. Jüngstes Gericht, Armageddon, Helter Skelter — für Manson war es alles dasselbe, eine gegenseitige Massenvernichtung der Rassen, aus der die Schwarzen als Sieger hervorgehen würden. Dagegen wollte er ein Zeichen setzen, das den „Pigs“ („Schweinen“) Angst einjagen und den Tag des Jüngsten Gerichts herbeiführen sollte. Als weißer Nationalist wollte er im Jahr nach der Ermordung von Martin Luther King, dass es so aussah, als seien hierfür „die Schwarzen“ verantwortlich.

Ende Juli 1969 hatte Manson dem harten Kern seiner Family befohlen, einen ersten Mord zu begehen. Das Opfer war Gary Hinman, ein Lehrer und Drogendealer. Family-Mitglieder hielten Hinman zwei Tage gefangen und folterten ihn, Charles Manson schnitt ihm ein Ohr ab und fuhr dann zurück zur Ranch. Danach wurde Hinman erstochen und mit seinem Blut „Political Piggy“ an die Wand geschmiert.

Anfang August fuhr Manson zur Villa seines Musikproduzenten Terry Melcher, dem Sohn der Hollywood-Schauspielerin Doris Day, am Cielo Drive 10050 und erkundigte sich nach seinem versprochenen Plattenvertrag – Melcher war jedoch inzwischen nach Malibu gezogen. Von Shahrokh Hatami, Sharon Tates persönlichem Fotograf, wollte die Schauspielerin anschließend wissen, ob „dieser grauslich aussehende Kerl“ auch am Gästehaus gewesen war.

links: Die Leiche von Sharon Tate wird abtransportiert. rechte: Charles Manson – Bildquelle: Polizeifotos

Manson, außer sich vor Wut von Melcher versetzt worden zu sein, schickte in der Nacht vom 8. auf den 9. August 1969 ein Killer-Kommando zum Cielo Drive 10050, das die 26-jährige hochschwangere Schauspielerin, ihre drei Gäste (Drehbuch-Autor Wojciech Frykowski, Abigail Folger, Erbin eines Kaffee-Imperiums und Jay Sebring, Hollywood-Starfriseur und Entdecker des Karate-Kinostars Bruce Lee) sowie einen jungen Mann, der durch Zufall in der Nähe war, regelrecht abschlachtete. Die Morde dauerten nur eine halbe Stunde, aber die Leichen waren im und vor dem Haus verteilt: erschossen, erhängt, mit insgesamt über 100 Messerstichen furchtbar zugerichtet. An die weiße Haustür schmierten die Mörder, drei Frauen und ein Mann, mit Tates Blut das Wort „Pig“.

Am Folgetag zog Mansons Killer-Kommando erneut los und ermordete den Inhaber einer Supermarktkette und dessen Ehefrau, die eine Boutique auf dem Hollywood-Boulevard hatte. In die Bauchdecke des Mannes ritzten die Mörder das Wort „War“ / „Krieg“, an die Wände schmierten sie mit Blut „Death to pigs“ / „Tod den Schweinen“ und an den Kühlschrank „Helter Skelter“. Danach deponierten sie die Geldbörse des Ermordeten an einer Tankstelle in einer schwarzen Wohngegend. Eher durch Zufall fand man die Mörder unter den Mitgliedern der Manson-Family. Für Polizei und die Hollywood-Gesellschaft war es anfangs kaum vorstellbar, dass junge Hippie-Mädchen, ihnen völlig Fremde – darunter eine hochschwangere Frau – ohne Grund abschlachteten. Doch auf der Todesliste standen noch weitere Namen: Frank Sinatra, Tom Jones, Elizabeth Taylor und Steve McQueen

Szenenfoto aus „Once Upon a Time in… Hollywood“ – Bildquelle: Sony Pictures

Die der Verbrechen schuldigen Manson-Anhänger wurden im bis dahin längsten und teuersten Mordprozess der USA zum Tode verurteilt. Darunter auch der Guru selbst, der in der Gaskammer sterben sollte. Die Urteile wurden wegen der zwischenzeitlichen Abschaffung der Todesstrafe in lebenslange Haftstrafen umgewandelt. Charles Manson starb 2017 im Gefängnis.

Wegen der Ermordung seiner Frau und des ungeborenen Kindes sowie seiner eigenen traumatischen Kindheit in einem jüdischen Ghetto in Polen – seine Mutter starb in einem Konzentrationslager – galt Roman Polanski lange als tragischste Figur Hollywoods. Er war sich sicher, den Mördern nur entgangen zu sein, weil er sich zum  Zeitpunkt des grausamen Verbrechens nicht in der Villa aufhielt. Polanski verließ Hollywood und erst fünf Jahre später gelang ihm mit dem Detektiv-Thriller „Chinatown“ wieder ein erfolgreicher Film.

Mit den Hinrichtungen der Manson-Family sei „die Unschuld Hollywoods“ verloren gegangen, urteilte vor kurzem Regisseur-Kollege Quentin Tarantino und fügte an, die Traumfabrik habe sich seither verändert, das „New Hollywood“ sei menschlich kälter geworden. Als Beweis schrieb er in seinem neuesten Film „Once Upon a Time in… Hollywood“ / „Es war einmal in… Hollywood“ die Geschichte märchenhaft um und verhindert dort die Manson-Morde durch tatkräftiges Einschreiten seiner Protagonisten, die Polanskis Nachbarn sind, denn: „Polanski ist schließlich der wichtigste Regisseur der Welt!“, wie einer von Tarantinos Hauptdarstellern im Film aufgeregt berichtet.

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