Der 200. bis 204. Verhandlungstag im Münchner “NSU”-Prozess

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JEZT - Inside NSU - Das Original - Abildung © MediaPool Jena

„Inside NSU“ – Das Original – Abildung © MediaPool Jena

Aus Pressemeldungen zusammengestellt von Annett Szabo-Bohr:

23.04.2015: Der 200. Verhandlungstag

Der „NSU“-Prozess ist einer der teuersten und aufwändigsten der deutschen Geschichte. Das Gericht schätzt die Kosten pro Verhandlungstag auf 150.000 Euro – das wären bisher insgesamt 30 Millionen Euro. Zschäpe ist als Mittäterin der Serie von zehn überwiegend rassistisch motivierten Morden und zwei Sprengstoffanschlägen angeklagt; wegen ihres zeitweise angeschlagenen Gesundheitszustands (siehe hierzu auch den Bericht vom 203. Verhandlungstag) hat das Gericht die Zahl der Verhandlungstage in den letzten Wochen von drei auf zwei pro Woche reduziert

Am 200. Tag im Münchner „NSU“-Prozess war eine Zeugin aus der rechte Szene von Chemnitz geladen. Die inzwischen 46-Jährige aus dem Skinheadmilieu redet laut und deutlich, weiß jedoch angeblich nur wenig über Mundlos und Zschäpe. Nur, dass die beiden hätten 1996 einmal bei ihr übernachtet hätten, daran kann sie sich erinnern. „Nach einem Szenekonzert“, sagt sie. Zu Uwe Böhnhardt fällt der Zeugin nur ein, der sei ihr „nicht so aufgefallen“. Aufgefallen aber doch, sagt der Vorsitzende Richter Manfred Götzl. Ja, sagt sie, aber wann und wo, das sei ihr nicht mehr erinnerlich. Dass Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe sich 1998 aus Jena nach Chemnitz absetzten und hier Untergrund lebten, das will die Zeugin überhaupt nicht mitbekommen haben. Sie sei, so ihre Behauptung vor Gericht, im Jahr 2000 „aus allem raus“ gewesen, wegen einer Schwangerschaft. Dass zwischen 1998 und 2000 ganze zwei Jahre liegen, sah die Zeugin nicht als Widerspruch. „In einer Vernehmung bei der Polizei gaben Sie aber zu Protokoll, dass sie in der Chemnitzer Szene jede kennen würden“, hielt Götzl ihr vor und fragte nach Details, doch die Frau stellte sich stur und bemerkte nur lakonisch: „Das sagt man halt so.“.

Daraufhin hielt ihr Manfred Götzl Aussagen ihres früheren Ehemannes vor, der gegenüber dem BKA über Mundlos gesagt, dieser habe sich bei Besuchen in der ehelichen Wohnung „sehr arisch“ gegeben und Gewalt mit Hilfe von Waffen und Sprengstoff gerechtfertigt. Mundlos soll, so der Ex-Ehemann der Zeugin, auch geäußert haben, „wenn Adolf noch da wäre, gäbe es keine Probleme mit Juden“. Doch daran fehlt der Zeugin nach eigenem Bekunden die Erinnerung. Sie könne sich heute nur noch hauptsächlich an Szene-Konzerte der damaligen Zeit erinnern, wie sie aussagte.

28.04.2015: Der 201. Verhandlungstag

Am 201. Verhandlungstag sagte mit André Kö. aus dem sächsischen Vogtlandkreis wieder einmal ein Zeuge aus dem rechtsextremen Milieu aus, der zwar die von anderen Zeugen des Milieus ebenso bekundeten Erinnerungslücken an die Zeit Anfang der 200er Jahre geltend machte, gleichwohl aber direkte Erkenntnisse über den in München Mitangeklagten André Em#ng#r zuließ, weshalb seine Worte im Falle Em#ng#r aufschlussreich waren: es ging um Em#ng#rs Mitgliedschaft in der „Weißen Bruderschaft Erzgebirge“ (WBE), in der auch sein Zwillingsbruder Maik war.

Beide seien seinerzeit „Ansprechpartner“ gewesen, sagt der Zeuge vor Gericht. Wofür, wollte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl wissen. Kö.s Antwort: „Nix Weltbewegendes“. Bei der WBE sei es eigentlich nur um „Spaß und Konzerte“ gegangen, behauptet André Kö. vor Gericht. Götzl wies den Zeugen jedoch auf eine Vernehmung durch die Polizei vom Sommer 2012 hin, bei der dieser geäußert hatte, dass es bei den Treffen auch um die Frage von „Gewalt gegen das gesamte System“ gegangen sei. „Weiß ich nicht mehr“, antwortete Kö. dem Vorsitzenden Richter, worauf dieser ihm das Protokoll vorhielt. Nun kamen bei dem Zeugen einige Erinnerungen wieder zurück und er gab an, mit dem System seien „der Staat und die Ausländer gemeint“. Um was es bei den Ausländern gegangen sei fragt Götzl. Ausländern habe man zeigen wollen, „dass die weiße Rasse stärker ist“, sagte der Zeuge daraufhin.

André Kö. wurden daraufhin Kopien aus den Heften der „Weißen Bruderschaft Erzgebirge“ vorgelegt, die die rassistische Ideologie der WBE deutlich machten: „The Aryan Law and Order“ ist eine Seite überschrieben, „Die Zuwanderer ruinieren unser Sozialsystem“ eine andere. Wer das denn organisert habe mit den Zeitschriften, wollte Manfred Götzl von Kö. wissen und der gab vor Gericht an, „das mit den Helfen“ sei einst alles über die Zwillingsbrüder André und Maik Em#ng#r gelaufen. „Über wen genau, kann ich nicht sagen“, antwortete der Zeuge auf eine Rückfrage, denn „die beiden sehen sich wirklich ähnlich“.

Auch wenn sich André Kö. in der Verhandluncg oft ausweichend ausdrückte, möglicherweise um die Brüder nicht zu belasten. brachte seine Befragung das Gericht ein Stück weiter, denn es wurde deutlich, dass André Em#ng#r eine zentrale Rolle bei der WBE hatte und dass dort offen über Gewalt gegen Ausländer und den Staat diskutiert wurde. Zeitgleich standen er und seine Ehefrau den „NSU“- Terroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe sehr nahe, weshalb André Em#ng#r der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung angeklagt ist, denn er soll dem „NSU“ unter anderem Wohnmobile für Banküberfälle angemietet und BahnCards beschafft haben.

29.04. 2015 = Der 202. Verhandlungstag

Zu Beginn des Verhandlungstages trat der Zeuge Tom T. aus Stadtroda vor Gericht auf, einer der frühen Wegbegleiter des späteren „NSU“-Trios und er sprach darüber, wie sich die Hauptangeklagte Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in der rechtsextremen „Kameradschaft Jena“ radikalisierten. Dabei schloss der Zeuge, wie er aussagte, auch Bekanntschaft mit den im „NSU“-Prozess Mitangeklagten Holger Gerlach und Ralf Wohlleben. Um das Jahr 1995 habe sich die Szene stark radikalisiert, berichtete Tom T. vor der Strafkammer in München.

Mundlos habe damit begonnen, den Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß als Märtyrer zu verehren und habe sogar in der Szene nach Sprengstoff gefragt. Er selber habe gewarnt und gesagt: „Uwe, wir sind hier doch nicht im Krieg“, so der Zeuge in seiner Aussage.  Wenig später sei das Trio in den Untergrund gegangen. Tom T. sei dagegen zu dieser Zeit – nach eigener Aussage – mehr an Partys interessiert gewesen und habe Mundlos regelmäßig abgesagt, wenn dieser ihn zu „Schulungen“ oder Demonstrationen haben mitnehmen wollen. Und dann belasteet er Beate Zschäpe. Einmal hätten ihn Mundlos und Böhnhardt gefragt, ob er „bei einer illegalen Aktion als Alibi-Zeuge zur Verfügung stehen würde“. Später sei er mit Ralf Wohlleben zu einer Autobahnbrücke bei Jena gefahren und man hätte zugesehen, wie Mundlos und Böhnhardt dort eine Puppe mit Judenstern abgeseilt hätten. Währenddem hätte Wohlleben und er den Tatort mit Absperrkegeln und einem Schild „Vorsicht Bombe“ dekoriert und Zschäpe hätte aufgepasst, dass niemend kommt, sagte T. zu Richter Götzl.. Als das Ganze vor Gericht kam, habe er schließlich absprachegemäß falsch ausgesagt und behauptet, die Angeklagten seien auf einer Party gewesen.

Ebenfalls im Zeugenstand war an diesem Tag Kay S., der nach Erkenntnissen des Bundeskriminalamtes un des Verfassungsschutzes Kontaktmann zwischen Szeneangehörigen und dem 1998 untergetauchten Terror-Trio gewesen sein könnte, denn damals war er der Lebensgefährte von Mandy Struck, die im Prozess umfangreich über ihre Bekanntschaft mit den dreien ausgesagt hatte. Neue Erkenntnisse brachte die Aussage von S. jedoch nicht zutage. Deshalb war am Ende des Prozesstages als weitere Zeugin eine Kundin der Sparkasse Stralsund geladen, die anwesend war, als Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt die Filiale im November 2006 überfielen. Ihre Angaben waren jeoch eher allgemeiner Art.

11.05. und 12.05.2015 = Der 203. und 204. Verhandlungstag

Am 203. Tag des „NSU“-Prozesses berichteten zwei Zeuginnen über den mutmaßlich ersten Überfall der „NSU“-Terrorsiten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, der seinerzeit wohl der Geldbeschaffung für das gemeinsame Leben mit der Hauptangeklagten Beate Zschäpe im Untergrund diente. Die beiden Uwes nutzten die bevorstehenden Weihnachtsfeiertage, als sie am 18.12. 1998 in einer Edeka-Filiale in Chemnitz eindrangen. Dort hatte kurz vor 18 Uhr Kassenleiterin K. die Tageseinnahmen in einer Tüte verpackt, um sie anschließend sicher im Safe zu verwahren. Es waren rund 30.000 DM.

Die andere Zeuginnen vor dem Münchner Oberlandesgericht, Frau E., arbeitete an jenem Tag an der Kasse des Supermarktes und bemerkte, wie sie sagte, „aus dem Augenwinkel“ einen Mann, der an einer Säule lehnte und den Kassenbereich beobachtete. Dieser Mann war, wie sich später herausstellte, Uwe Böhnhardt. In diesem Moment wurde ihre Chefin, Frau K., von einem zweiten Mann mit einer Waffe bedroht, der größer war, als der erste: Uwe Mundlos; er trug ein schwarzes Tuch vor dem Gesicht.

Mundlos habe K. eine Pistole vor die Brust gehalten, ihr die Tüte mit dem eingesammelten Geld entrissen und sei zum Ausgang gerannt. Die Zeugin K. sagte aus, dass sie ihm bis zur Tür hinterher gerannt sei, während Frau E. über den Lautsprecher „Überfall!“ gerufen habe. Darauf seien draußen dann zwei Schüsse gefallen. Die Einschusslöcher befanden sich an der Wand des Edeka-Marktes. Verletzt wurde zwar niemand. Die Kassenleiterin war allerdings danach wochenlang krank, litt an psychischen Problemen, wie sie aussagte.

Danach berichtete ein Beamter des Bundeskriminalamtes über Spuren, die man im ausgebrannten Haus in der Frühlingsstraße in Zwickau gefunden hatte, darunter Patronenhülsen. Unter anderem wurden diese Hülsen mit denen vom Dezember 1998 aus dem Edeka-Fall von Chemnitz abgeglichen. Das Ergebnis: Die Hülsen aus Chemnitz und zwei Hülsen aus Zwickau waren aus derselben Waffe abgefeuert worden. Die zugehörige Waffe konnte allerdings bis heute nicht gefunden werden, wie der Beamte sagte.

Am 204. Verhandlungstag ging es um zwei Sachverhalte. Am Vormittag sagte erneut der Jugendfreund von Uwe Mundlos aus. Er berichtete von einem Vorfall im Kellerclub des Jenaer Volkshauses, als eine Frau eine andere Person mit einem Glas verletzte. „Die zuschlagende Person war Beate Zschäpe“, sagt der Mann vor dem Oberlandesgericht München aus. Der Zeuge konnte allerdings keinen genauen Zeitpunkt für den Vorfall benennen.

Auch wenn die Aussage vage blieb, war sie für Zschäpe sichtbar unangenehm. Sie habe angespannt gewirkt und aufgebracht, berichten Beobachter. Als der Vorsitzende Richter Manfred Götzl die Befragung des Zeugen für die Mittagspause unterbricht, habe die Hauptangeklagte sichtlich gereizt auf ihren Verteidiger Wolfgang Stahl eingeredet. Es sei ihr offenbar schwer gefallen, hierzu zu schweigen, was sie im Prozess von Beginn an durchhält.

Am Nachmittag kam ein Raubüberfall des „NSU“ vom September 2002 zur Sprache. Drei ehemalige Mitarbeiterinnen einer Sparkassenfiliale in Zwickau berichteten, ein Täter habe sie heftig mit einem Reizstoff besprüht, vermutlich war es Pfefferspray. Böhnhardt habe zudem einer Angestellten eine Pistole an den Kopf gehalten, Mundlos aus Tresor und der Handkasse das Bargeld verlangt – Mundlos und Böhnhardt nahmen an diesem Tag 48.600 Euro mit.

Die Tat in Zwickau war der sechste von insgesamt 15 Raubüberfällen der „NSU“-Terroristen, die insgesamt mehr als 600.000 Euro erbeutet haben sollen.

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